Es gibt ein Bild, wenn man Tom Kummer zuhört, das einem sofort in den Sinn kommt: Ein Mann auf einer dunklen Strasse. Es ist dunkel, man sieht nur den Mittelstreifen. Das Auto schlingert immer wieder mal, fährt aber weiter. Es ist die Eingangsszene von «Lost Highway» von David Lynch mit David Bowie, der «I am deranged» singt und ein bisschen fühlt es sich an, wie wenn die beiden Davids die Geschichte von Tom Kummer Jahre voraus geschrieben hätten. Zumindest diese Szene.
«Von schlechten Eltern», das Buch, aus dem Tom Kummer am Donnerstagabend auf Einladung von Schuler Bücher in der stillgelegten Bahnhofunterführung in Chur liest, weist nicht darauf hin, dass es eigentlich ein Road Movie ist. Es geht um ihn, Tom, der als Chauffeur für den Botschaftsdienst arbeitet und durch die halbe Schweiz cruist. Genf, Bern, Zürich – immer nachts, immer ohne Gegenverkehr. Die Landschaften an der Seite sind tot, Trümmerwüsten, tote Städte. Geplünderte Landschaften, kahlgefressen. Das ist die Welt von Tom Kummer, in der er einem sengalesischen Botschafter von seiner toten Frau Nina erzählt und mit einer Kundin Sex hat. Nina ist nicht mehr da und drückt doch in jeder Zeile durch. «The clutch of live and the fist of love», singt David Bowie in «Lost Highway», die Kupplung des Lebens und die Faust der Liebe.
Die stillgelegte Bahnhofunterführung, die sich parallel zu der jetzigen Unterführung befindet, ist der ideale Ort für diese Geschichte. Sie ist viel kleiner, an der Seite kleben noch immer die Kacheln, und wo die Aufgänge waren, sind jetzt zugeschüttete Aufgänge. Von der Decke bröckelt der Verputz. «Es ist ein fantastischer Ort», sagt Tom Kummer, «ich habe Düsternis aus Bern mitgebracht.» Immer wieder donnert ein Zug über den Köpfen, und obwohl alles aussieht, als breche es jeden Moment zusammen, passiert gar nichts.
Seit einem Jahr ist Tom Kummer zurück in der Schweiz. 26 Jahre lebte er in Amerika, mit Nina, seiner Frau, die vor ein paar Jahren gestorben ist. Zurück kam er, weil er irgendwann merkte, dass er ohne Nina nicht in Amerika leben kann. Im Januar wird er 60, und dass seine Geschichte nicht nur ein «Lost Highway» ist, hört man auch in der dritten Geschichte: Da fährt er mit seinem Sohn Vincent durch Bern. Zerstörung ist zwar immer noch ein Thema («Ist dir schon mal aufgefallen, dass es in der Schweiz immer um Wasser zähmen geht?», sagt der eine zum anderen während der Fahrt der Aare nach.), aber es ist ein Licht am Ende des Tunnels. «No return, no return», singt David Bowie in «Lost Highway», und man wünscht es dem Tom Kummer aus dem Buch, dass die Dunkelheit ein Ende findet.
Aber Tom Kummer wäre nicht Tom Kummer, wenn eines auch noch besprochen werden muss: Wie er diversen Schweizer Zeitungen Reportagen mit erfundenen Quotes von Schauspielern als echt verkaufte. «Das ist 26 Jahre her», sagt er, «die Journalisten müssen immer auf ihr schwarzes Schaf verweisen.» Damals gab es Fake News noch gar nicht. Es gab investigativen Journalismus und Reportagenjournalismus, und das war das Genre, in dem Tom Kummer sich zuhause fühlte. «Für mich war Journalismus immer ein Experimentierfeld.»
«Lost Highway» endet wie es angefangen hat: Es ist dunkel, das Auto schlingert auf dem Highway. «And the rain sets in. It’s the Angel-Man», singt David Bowie. Tom Kummer weiss, wie man das Auto wieder in die Spur bringt. Es hat es schon mehrmals beweisen müssen.
«Von schlechten Eltern» ist Tom Kummers zweiter Roman nach «Nina und Tom». Vielleicht wird die Verarbeitung des Todes seiner Frau eine Triologie, «das klingt so gut.»
(Bilder: GRHeute)