Zwei Ständeräte, ein Nationalrat und neun Nationalratskandidatinnen und -kandidaten haben einen Abend lang bei der Caritas ausgeholfen und dabei einiges über sich und andere gelernt.
Manchmal wünscht man sich, die Kandidaten für die Wahlen vom 20. Oktober würden wie Kinder auf dem Schulhof «Pflicht oder Wahrheit» spielen – und zwar mit der gleichen Ernsthaftigkeit, wie Kinder das tun. Statt dessen bekommt man an Podien und anderen Veranstaltungen Wahlprospekte vorgeleiert, die man so oder ähnlich auf Plakaten lesen kann und weiss am Ende des Tages: Nichts Neues von den Kandidatinnen und Kandidaten. Keinen Grund mehr, jemanden zu wählen oder eben nicht zu wählen.
Eine Veranstaltung der anderen Art war deshalb die Unterstützung des Caritas-Zentrums in Chur vom Dienstagabend. Geschäftsleiter Alessandro Della Vedova hatte zum Nightshopping eingeladen. Die Ständeräte Martin Schmid (FDP) und Stefan Engler (CVP) waren da und Nationalrat Martin Candinas (CVP). Alle drei haben das Ziel, wieder gewählt zu werden. Zu ihnen gesellten sich: Anita Mazzetta (Grüne), Anna Giacometti (FDP), Vera Stiffler (FDP), Sandra Locher Berenguel (SP), Edith Gugelmann (BDP), Géraldine Danuser (SP), Josias Gasser (GLP), Stefan Darnuzer (BDP) und Martino Tucek (Grüne). Sie alle haben das Ziel, gewählt zu werden.
Eine quietschgrüne Sonnenbrille
Angekündigt war das Ganze als Event, in dem man zum Beispiel Stefan Engler beim Bügeln zusehen kann. Jon Pult hätte serviert und Vera Stiffler Kleiderberatungen gegeben. Ganz so kam es dann aber doch nicht. Stefan Engler servierte Getränke und Jon Pult, dessen Aufgabe eine Stilberatung war, kaufte sich selbst zwei Honige, Josias Gasser eine quietschgrüne Sonnenbrille und seiner Freundin eine Kette. Einen Trainer in Farben, die man sich nicht mal an seinem ärgsten Feind sehen will, aber an der Schlagerparade könnte man es locker anziehen, kaufte er hingegeb nicht.
Martin Schmid, der zusammen mit Stefan Engler direkt von einer Kommissionssitzung gekommen war, hatte die Aufgabe, einen Jupe zu verkaufen. Was ihm auch gelang. «Karo ist im Herbst super», sagte er der älteren Frau, «ich zahle ihnen den Jupe.» Was man nach dieser Szene weiss: Martin Schmid kann Frauen beim Kleiderkauf durchaus beraten. Schmid verdoppelte den Preis des Jupes auf zehn Franken. «Sie hätte mich sowieso gewählt, ich bin mit ihrer Tochter zur Schule», sagte der Ständerat und lachte verschmitzt. So «kauft» man Stimmen!
Martin Schmid war vor seinem Ständeratsmandat in der Regierung für das Sozialwesen zuständig und weiss genau, was Armut mit einem machen kann. «Es gibt auch in Graubünden Menschen, die Unterstützung brauchen. Und damit ist nicht immer materielle Unterstützung gemeint, sondern auch gesellschaftliche. Einen Ort wie diesen hier, wo man sich treffen kann.»
Elf neue Caritas-Mitglieder
Ähnlich hatte es zuvor Alessandro Della Vedova ausgedrückt, der neue Standespräsident des Kantons Graubünden: «Ich habe anfangs gedacht, dass ich es vor allem mit Flüchtlingen und ihren Familien zu tun habe. Jetzt weiss ich: Es gibt auch Armut in Bündner Familien. Und zwar mehr, als man denken könnte.» Das Caritas Zentrum an der Scalettastrasse 7 in Chur ist für alle offen. Es hat ein Kaffee, eine Brockenstube mit diversen Dingen für den täglichen Gebrauch und eine Kleiderabteilung für Kinder und Erwachsene. Die Preise sind moderat. Der Caritas Markt ist nur für Bedürftige mit einer Kulturkarte zugänglich.
Am Schluss des Abends hat Geschäftsführer Alessandro Della Vedova elf neue Caritas-Mitglieder. Martin Candinas ist es schon; er war früher auch für die Caritas tätig, als sie noch beim Grauen Haus war. Anita Mazzetta hat vieles aus der Brockenstube, und Stefan Danuzer kommt ab und zu mit einer Tochter hin.
Am Schluss des Abends wünscht man sich noch mehr solche Anlässe: Ungezwungenes Beisammen sein, lustige Erlebnisse und spannende Einsichten. Alles in Bewegung, ein paar Häppchen und zu trinken. Ein paar Gründe mehr, jemanden zu wählen oder nicht zu wählen, gab es gratis dazu. Schön wäre gewesen, es hätten mehr Besucher davon Gebrauch gemacht. Die Caritas und der Kanton Graubünden wären vielleicht um ein paar Einsichten reicher.
(Bilder: Charly Bosshard)