Die Architektur der Ausgrenzung. Und niedliche Tankstellen.

Ich kann mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Vielleicht des schlichten Wesens wegen – Zapfsäule, Häuschen, Wetterschutz – ist sie mir zugänglich geworden und nun fester Bestandteil im Tages- und Wochenablaufablauf; längst kaufe ich die Sonntagsbrötchen an der Tanke, weil die Bachwaren frischer und die Menschen an der Ladentheke freundlicher sind. Gute Bekannte auf Zeit. Selbst in fremden Ländern ist das nicht anders, im grau verhängten Limasommer gleichwohl wie in der strahlenden Novembersonne irgendwo an der albanischen Riviera. Der Schwatz mit dem Tankwart hängt lange nach. Was er sagte, dürfte erstunken und erlogen gewesen sein, aber allemal unterhaltend. Eine deutsche Architekturzeitschrift widmet sich in einer aktuellen Ausgabe den Schönheiten der Tankstellen. Ja, es finden sich Schmuckstücke darunter. Interessante Miniaturen, kleine Reminiszenzen an bessere Tage, verdrängte Zeitzeugen. Ist es dieser Tage etwas wagemutig, deren Schönheit zu besingen?

Bei der Lektüre des Blattes wird mir ein anderes Lied gegenwärtig: Jenes vom Alltag an Schulen, das tagtäglich neu gesungen wird und in einer unendlichen Wiederholung – cantus repetitio infinitum – den Ausgang, die Coda selten findet. Die Rede ist von fortwährender Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen an Schulen. Ihre grösste Beschämung lauert in Form sozialer Exklusion: «Du gehörst nicht zu uns!» ist er grösste Motivationskiller und der beste Nährboden für Jugendgewalt. Gleichwohl kennen Schulen kaum eine Antwort auf das, was inflationär unterspült längst als ‹Mobbing› bezeichnet wird. Der verwässerte Begriff ist untauglich, seine Wirkung allerdings verheerend. Letztlich geht es um folgende Frage: Wer kriegt es in einer Klasse am meisten ab? Und Hand aufs Herz: Die Frage können Sie im Lichte der eigenen Schulzeit sicher beantworten. Ich kann es: unrühmliche Rückblende!

Die Architektur der Ausgrenzung ist bereits in der Schule selbst angelegt: Die Schulpflicht ist eine wichtige Errungenschaft, kaum einer käme dazu, sie abschaffen zu wollen. Sie schafft aber gleichzeitig einen Zwangskontext, aus dem vor allem Betroffene nicht oder nur mit grössten Anstrengungen entkommen können. Folglich sind konkrete Massnahmen bei sogenanntem Mobbing zu erwarten, zumindest dann, wenn Sie als Kind, als Jugendlicher oder als deren Eltern betroffen sind.

Suchen sie Hilfe, werden sie nicht selten Paradoxes erleben: Hilfsangebote fehlen meist, wer Hilfe sucht, sieht sich selbst bald einmal an den Pranger gestellt, weil die Aufhänger des Kindes – bezogen auf Aussehen, Verhalten, Eigenschaften – ja schliesslich irgendwie schon seltsam anmuten. Und ihre Hilfesuche schon mal als Angriff gegen die Schulobrigkeit gewertet wird. Es dreht, getrieben von Rechtfertigung und Gesichtswahrung, die Spirale, die Opfer zu Tätern, Helfende zu Tätern und Täter zu Opfern macht. Während jene die plagen, selber weiterhin zu Anerkennung gelangen, die wir ihnen in anderer Form nicht anzubieten vermögen, wird den Ausgegrenzten Hilfe verwehrt. Das Nachsehen haben alle. Einige besonders.

Die Architektur der Ausgrenzung muss ihrem komplexen Wesen nach verstanden werden und bedarf fachkundiger Bearbeitung. Nur: Das Wissen um wirkungsvolle Interventionen ist längst da. Es fehlt die Bereitschaft der Regierung, der Schulbehörden und Schulleitungen, Mobbing als Problem anzuerkennen und beherzt Interventionsprogramme zu lancieren. «Dort, wo Menschen […] Verantwortung für andere tragen, sollte die Fähigkeit Beziehungen zu gestalten, zur Meisterschaft entwickelt sein.» Der Satz stammt vom deutschen Neurologen, Psychiater und Autoren Joachim Bauer. Dahinter versteckt sich eine sich auf Menschlichkeit berufende Haltung: Die fehlt bei den Verantwortlichen von Schule noch zu häufig! Und: Es ist eine gemeinsame Aufgabe von Schule und Elternhaus, darauf zu dringen, dass Konflikte fair und ohne Demütigungen ausgetragen werden. Und dass es in der Frage endlich vorwärtsgeht!

Den Machern der Architektur-Zeitschrift ist was Niedliches gelungen: Unter dem #schönetankstelle haben sie viele Zusendungen von süssen, kleinen, fast vergessenen Tankstellen erhalten. Allesamt liebliche Portraits einer Baugattung der Moderne. Wozu der Mensch nicht alles fähig ist! Nicht wahr?

PS: Das PS und ich möchten uns in aller Form für die vielen Zuschriften der letzten Woche bedanken: Die vielen mitfühlenden Worte und die sachdienlichen Hinweise zur seltsam anmutenden Geschenkewahl meines Linienvorgesetzten haben uns tief berührt und brachten uns zwei Erkenntnisse: Erstens und wichtig: Wir sind nicht allein. Zweitens, auch nicht ohne: Einige von Ihnen erhalten noch üblere Geschenke. Sie zu publizieren, wagen wir aber nicht. Unser Mitgefühl sei Ihnen jedoch gewiss!

(Symbolbild: Pixabay)