Das sei ein grosses Wort, mault einer und spricht fortan darüber, man müsse praktisch denken, Tools nutzen, Module planen. Und schliesslich habe er sich um das neue Turnhallenbauprojekt zu kümmern. Die Farbe des Bodens sei noch nicht bestimmt. ‹Schulkultur›, das Wort sei viel zu bedrohlich und alltagsfremd!
Ich befinde mich in einem Coaching für Schulleiter – ja, alles Männer. Mitten in Zürich. Hier sollen Führungsherausforderungen reflektiert und Lösungen gefunden werden. Und nebenher werde die Selbstkompetenz erweitert, fast von alleine und quasi als ‹Leckerli› obendrauf, steht so oder so ähnlich in der Kursbroschüre geschrieben. Ja, die geleitete Schule beschert der Beratungsindustrie im Lande reichlich Aufträge. Und gutes Geld. Denke es mir und lausche weiter den Worten des Kollegen, der noch vor zwei Jahren als Investmentbanker in Singapur gearbeitet hat. Er geht die Dinge praktisch an und sieht Schulkultur als eine Bedrohung für seine Schule. Vor allem für das Team. Das sei nun wirklich zu viel.
Die Denke des Renditenjägers a.D. befremdet mich. Weshalb? Lehrpläne, Schulstrategien, Best-Practice-Sammlungen und andere (Un-) Dinge sind wertlos, wenn Schulen ihre Kultur nicht zu schaffen, zu artikulieren und zu pflegen wissen. Das kennen wir längst aus der Unternehmensführung. «Culture eats strategy for breakfast» titelte einst Peter Drucker. Wahrscheinlich hat er Recht. Vielleicht zerfleddern deshalb die hehren Absichten einiger Bildungsgurus, noch bevor sie auf dem Schulhof angekommen sind. Schulen brauchen heute nicht noch mehr Tools und Konzepte. Sie sollen das, was sie tun, weiter tun. Die Frage ist doch nur, welchen gemeinsamen Boden sich die Akteure der Schule selbst bauen. Dabei geht es im Kern um Werte und Haltungen, ohne die keine Pädagogik lange auskommt. Und das passt eigentlich gut zum Auftrag der modernen Schule: In einer Gesellschaft, in der Menschen entscheidungsgefordert sind, muss Schule Farbe bekennen. Kante zeigen. Für sich, für die ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Damit stellt sie sich natürlich in den rauen Wind einer multioptionalen Gesellschaft. Das gehört zum Geschäft dazu. Schliesslich kann man die Dinge immer so oder anders tun. Gleichzeitig allerdings schafft Schule damit Klarheit: darüber, was an dieser Schule gilt, darüber, welche Grundüberzeugungen sie vertritt, darüber, wohin die Reise gehen soll. Gesellschaft wandelt sich stetig und damit auch die Rahmenbedingungen der Schule. Ja, etwas nervig ist es schon, die nichtssagenden, erst kürzlich auf Hochglanzpapier gedruckten Leitbildplakate und eigens laminierten Tischtäfelchen wieder einzusammeln. Nur: Die Schule dünkt mich die letzte Bastion der öffentlichen Verwaltung zu sein, in welcher Veränderung selber angestossen und getragen werden können. Lehrpersonen und Schulleitungen können sich – mit etwas Cleverness – die je eigene Schule bauen. Wow, welch einladendes Handlungsfeld!
Die je eigene, passende Schulkultur, sie steht nicht in Rezeptbüchern der Fachwissenschaften oder den Handouts der Hochschulen. Sie besinnt sich auf Grundüberzeugung einer humanistischen Weltsicht, der geistigen Fundamente unserer Zivilisation. Sie fusst auf den praktischen Erfahrungen heutiger Lebenswelten. Jener der Lehrenden und jener der Lernenden. Schulen haben allenthalben die Verwaltungslogik noch nicht übernommen. Sie sollen jetzt auch ja nicht damit anfangen! Die Bündner Schulen sind wie gemacht für dieses freiheitsliebende, ernsthafte und beflissene Schaffen. Die Dorfschule hat dabei – mit Verlaub – einige Vorteile. Reformen und Neukreationen sind an der kleinen Schule schneller und leichter umzusetzen. Das weiss ich aus eigener Erfahrung. Und kulturelle Eigenheiten haben an den Schulen im Land der hundertfünfzig Täler allemal noch ihren Platz.
Und jetzt, was tun? Nachdenken, diskutieren, sich auseinandersetzen und etwas wagen – und abkupfern! Wieso nicht mal bei der Nachbarsschule, der Campingfreundschaft aus dem Emmental oder in der Quartierskneipe in irgendeiner süddeutschen Stadt nachfragen, was die eigentlich so tun? Und dann die Ärmel hochkrempeln für eine Vision, welche die Schule zu einem Haus des Lebens und Lernens macht.
Das rezyklierte Flipchart ist mit Modellen vollgemalt. Das sieht alles aus wie vom Flipchartprofi gezeichnet. Unser Coach bedankt sich bei uns fürs engagierte Mitdenken, die Zeit sei leider um. Wir sähen uns im März wieder. Ich für meinen Teil brauche ein Bier. Kollege Olten will nicht mit. Das sei hier in Zürich viel zu teuer. Ich geh alleine und zahle die acht Stutz für den Kübel. Na, dann: «Wohl bekomms!»
(Bild: GRHeute)