Die heutige Schwarz-Weissdiskussion «Kindesinteresse gegen Wahrung der kulturellen Vielfalt» ist mehr als bemühend. Der Grosse Rat hat es verpasst, mit einem sinnvollen Gegenvorschlag das Problem zu lösen. Ein Kommentar von alt-Regierungsrat Christoffel Brändli zur Fremdspracheninitiative.
Statt einem Gegenvorschlag hat der Grosse Rat mit dem Versuch einer Ungültigerklärung sich aus der Verantwortung stehlen wollen. Nach der Zurechtweisung des Bundesgerichtes zeigte man sich verstaubt und wenig ideenreich. Damit kann es zu einem Volksentscheid kommen, der sich vor allem für schwächere Kinder negativ auswirken wird. Auch die Frage, ob mit dem heutigen System unserer Sprachkultur wirklich geholfen werden kann, ist mehr als fraglich.
Kindesinteresse muss im Vordergrund stehen
Auch wenn ich sehr viel Freude an meiner Muttersprache, dem Romanischen, habe, muss ich eingestehen: Unsere Kinder müssen, um in den nächsten Jahren im Beruf bestehen zu können, gut Deutsch und Englisch sprechen können sowie gute mathematische Kenntnisse haben. Leider sind die Deutschkenntnisse in den letzten Jahren kaum verbessert worden, dies auch wegen Überlastung der Kinder mit andern Fächern. Dies betrifft die Schüler in Deutschbünden, in Romanischbünden und auch in Italienischbünden. Die Pflege der Muttersprache Romanisch und Italienisch ist ebenfalls wichtig, aber für das Fortkommen unserer Kinder nicht erste Priorität.
Meiner Meinung nach müsste man deshalb den Mut haben, in Romanisch- und Italienischbünden von der ersten Klasse an die Schule zweisprachig (Romanisch/Deutsch oder Italienisch/Deutsch) zu führen. Ab der 5. Klasse, allenfalls sogar ab der 4. Klasse, müsste dann in ganz Graubünden Englisch als Fremdsprache gelehrt werden. Ab Sekundarstufe könnte eine zweite Fremdsprache wahlweise dazukommen: italienisch oder französisch.
Einwände
Gegen dieses Konzept werden im wesentlichen folgende Argumente eingebracht:
Man verliere den Anschluss, wenn man nicht wie in den meisten Kantonen zwei Fremdsprachen lehre. Dieses Argument sticht kaum, weil in den meisten zweisprachigen Kantonen Englisch und Französisch gelehrt wird. Für Bündner Schüler ist ein Wohnortswechsel so oder so mit Schwierigkeiten verbunden. Mit besseren Deutsch- und Englischkenntnissen allerdings weniger als mit dem heutigen, vielfältigen (ungenügenden) Sprachsammelsurium.
Die sprachliche Vielfalt Graubündens werde durch diesen Vorschlag gefährdet. Die im Oberengadin bereits zweisprachig geführten Primarschulen bestätigen dieses Vorurteil nicht. Es darf auch nicht übersehen werden, dass mit diesem Modell Zuwanderung erst richtig möglich wird, was im Hinblick auf die grosse Abwanderung von zentraler Bedeutung ist.
In Deutschbünden würde mit Englisch bis zur Sekundarstufe nur eine Fremdsprache gelehrt. Das ist an und für sich nicht so tragisch, weil dadurch mehr Zeit zur Förderung von Deutsch, Mathematik und Englisch bleibt. Zudem wird dadurch die Integration des vor allem im Rheintal beachtlichen Ausländeranteils verbessert.
Ausblick
Die bevorstehende Volksabstimmung vermag das Problem nicht zu lösen. Bei einem Ja werden kulturelle Spaltungen in unserem Kanton manifest werden, bei einem Nein bleibt Kindesinteresse auf der Strecke. Es wird Jahre dauern, bis diese Konflikte gelöst werden können. Das wird aber nur möglich sein, wenn die politisch Verantwortlichen, insbesondere der Grosse Rat, Verantwortung übernimmt und sich nicht hinter regionalen Sonderinteressen versteckt.
(Symbolbild: Pixabay)