GRDigital: Lässt der Fortnite-Wahnsinn jetzt nach?

Das Online-Spiel Fortnite hat die Welt im Sturm erobert: Innert kürzester Zeit ist das Game mit rund 130 Millionen angemeldeten Nutzern längst Popkultur – auch in Graubünden hat der beliebte Shooter unzählige Fans, vor allem Jugendliche. Seit etwas über einem Jahr ist der beliebte Battle Royal auf dem Markt und hat seither weltweit – allein mit Mikrotransaktionen – weit über eine Milliarde Dollar umgesetzt. Hat das Game nun seinen Peak erreicht?

100 Spieler landen per Fallschirm auf einer Insel mit dem Ziel, als Einzige/r zu überleben. Der spielbare Bereich wird durch einen «Sturm» immer kleiner, so dass Fortnite zwangsläufig spätestens nach einer halben Stunde eine Entscheidung herbeiführt – gefordert sind gute Waffen, gute Rüstungen, taktische Verteidigungsanlagen und schnelle Finger. Die Grafik ist knallig-bunt, jeder Spieler hat sein eigenes Outfit, das man mit entsprechenden Einkäufen individualisieren kann. Fortnite ist im Kern ein knallharter Shooter, der durch die Comic-Aufmachung und der Tatsache, dass kein Blut fliesst, bereits ab 12 Jahren freigegeben ist. Das Basis-Spiel ist gratis, Umsatz generiert Publisher Epic Games mit Accessoires – wie den unzähligen Tänzen, die man heute auch in Graubünden an jeder Strassenecke von Halbwüchsigen sieht. Warum auch nicht, wenn selbst Antoine Griezmann an der Fussball-WM sein Tor zum 2:1 Fortnite-like zelebriert?

 

Diese Tänze sind eines der Alleinstellungsmerkmale von Fortnite – und natürlich kann man diese auch kaufen. Mit V-Bucks, der Game-Währung, die man mit richtigem Geld erstehen kann. Gemäss diversen Soziologen vermischt Fortnite mehr denn je die analoge mit der digitalen Welt: Statt dass sich Jugendliche mit Markenschuhen oder Modelabels auf dem Schulplatz als «cool» positionieren, macht man es heute mit einem seltenen «Cape» oder «Move» in Fortnite. Da sich aber viele Jugendliche heute regelmässig im Fortnite-Universum tummeln, überträgt sich die Bewunderung für die diversen Accessoires ins normale Leben. Und wer nichts mit Fortnite anfangen kann, ist für viele Gleichaltrige eh out. «Kinder erliegen diesem Gruppenzwang total», so der deutsche Journalist Marcus Hammerschmitt gegenüber dem Beobachter, «der Leidensdruck ist gross, wenn man sich gewisse Gegenstände nicht leisten kann. So schöpft Fortnite das Taschengeld einer ganzen Generation ab.» 

 

An der Gamescom in Köln, der weltgrössten Publikumsmesse für Videogames, war Fortnite Ende August erwartungsgemäss der grosse Renner: Tausende Kids und Jugendliche standen stundenlang an, um sich über Umwegen einen Gutscheincode zu ergattern, den man im Spiel in einen seltenen, virtuellen Spray eintauschen kann. Massen-Hysterie? Auf jeden Fall. Und zwar mit Schattenseiten. Fortnite ist letztlich ein Ego-Shooter, bei dem man die Frage stellen muss, ob es für 12-Jährige gut ist, Gegner mit «Headshots» zu eliminieren. Dazu kommt, dass die Suchtgefahr des Spiels enorm ist, immer öfter hört man von Gruselgeschichten wie einem neunjährigen Mädchen in England, das zehn Stunden am Tag vor Fortnite sass und nicht einmal mehr auf die Toilette ging. Heute ist sie in einer Suchtklinik in Behandlung. Einige Spielefirmen haben die Gefahr erkannt, Nintendo beispielsweise bietet das Spiel auf der Switch «ab 16 Jahren» an.

Riesen-Hype um Fortnite an der Gamescom in Köln.

Die Verantwortung für den Medienkonsum ihrer Kinder liegt natürlich bei den Eltern, die gemäss Experten die Spieldauer zeitlich eingrenzen und regelmässig aktiv zuschauen, aber nicht verbieten sollen. A propos zuschauen: Eine Statistik zeigt, dass auch Fortnite-Videos für Rekorde auf Youtube und Co. sorgen: Allein im Mai wurden weltweit 574 Millionen Minuten an Videos mit Fortnite-Inhalten konsumiert – rund viermal mehr als jedes andere Spiel. Tatsächlich hat auch die Weltgesundheitsorganisation WHO die Online-Spielsucht seit Juni in ihren Katalog von Krankheiten aufgenommen.

Der Flug mitten in die Action.

Wie jedes Game trainiert Fortnite durchaus auch kognitive Fähigkeiten: Strategie und Taktik sind gefragt, dazu wird die Hand-Auge-Koordination – und je nach Spielmodus – auch die Kommunikation in einem Team – gefördert. Letzten Endes müssen Eltern selbst beurteilen, welche Spiele für ihre Kinder geeignet sind und wo die zeitlichen Grenzen sind. Um das herauszufinden, empfehlen Fachleute, die Spiele selbst auszuprobieren, am besten mit den Kindern zusammen. Für Epic Games hat sich Fortnite auf jeden Fall mehr als gelohnt: Im Mai brachte das Spiel allein in Deutschland über eine Million Dollar ein, bis im Juli hatte das Spiel weltweit über eine Milliarde Dollar umgesetzt.

Einen Hoffnungsschimmer für verzweifelte Eltern gibt es dennoch: Im Sommer legte das Spiel monatlich nur noch um 2% zu, der grosse Boom nähert sich somit der Sättigung. Auch viele Game-Experten sagen Fortnite in baldiger Zukunft – wegen der nicht allzu grossen Spieltiefe – einen Rückgang voraus. Am Ende ist der Cartoon-Shooter aber noch nicht: Die Macher haben das Spiel längst zu einer Videogame-Soap Opera entwickelt und erneuern das Leben (und Sterben) auf der Insel mit immer wieder neuen Ereignissen, so dass sich viele Spieler als aktiver Teil einer grossen Geshichte sehen. So fieberten im Sommer beispielsweise Millionen Kids um den ganzen Erdball mit einem angekündigten Meteoriteneinschlag in die Fortnite-Hauptstadt «Tilted Towers» mit. Dazu kommt, dass Epic Games einen Teil ihres Umsatz direkt in die stark wachsende eSports-Community steckt: Nicht weniger als 100 Millionen Dollar hat der Publisher in Preisgelder diverser Events investiert.

Mit den grossen eSports-Wettbewerben – die derzeit grosse Anstrengungen unternehmen, als Sport anerkannt zu werden – haben die besten Fortnite-Spieler der Welt somit wenigstens die Chance, einen Teil ihres Investments wieder rauszuholen. Für die allermeisten Jugendlichen allerdings ist das Taschengeld irgendwann in virtuellen Pixeln verpufft. 

 

(Quellen: scmp.com, superdataresearch.com, reddit.com, t-online.de, beobachter.ch, maniac.de)