Gaudenz Bavier: «Falsch gelebte Integration»

Aufgrund der kantonalen Volksabstimmung über die Reduktion auf eine Fremdsprache auf der Primarstufe wird in Graubünden heftig über das Problem der Überforderung diskutiert. Das Problem in der Primarschule ist nicht das Erlernen von zwei Fremdsprachen und auch nicht die Einführung des Lehrplans 21. Das Problem zeigt sich vielmehr in einer falsch gelebten Integration.

Um dies zu begründen muss ich etwas ausholen. Ich arbeite seit 8 Jahren als Schulleiter und beschäftige mich täglich mit den Herausforderungen der Primarschule. Die Schule ist das Abbild der Gesellschaft und die Gesellschaft hat sich geändert. Aufgrund unseres Wohlstandes leben wir vermehrt nach dem Lustprinzip und können uns materiell sehr viel leisten. Unsere Kinder lernen dadurch nicht mehr zu verzichten, sie erhalten materiell mehr als ideell. In vielen Familien sagen die Kinder wo es lang geht, was beispielsweise im Fernsehen geschaut wird, was auf den Mittagstisch kommt, welche Kleider gekauft werden und wo es in die Ferien geht. Unsere Kinder haben heute mehr Grosseltern als Geschwister. Teilen ist für viele ein Fremdwort. Wenn Kinder kein „Nein“ erleben bilden sie ihre Frustrationstoleranz nicht aus.

Wenn ein Kind, das in der Familie immer im Mittelpunkt steht nun in die Schule kommt und auf Widerstand stösst, reagiert es entsprechend. Es hat Mühe sich anzupassen und benimmt sich meist auffällig. Wir stellen beim Kindergarteneintritt fest, dass jedes Jahr mehr Kinder schlecht sozialisiert sind. Diese Kinder werden dann aufgrund ihres auffälligen Benehmens sehr bald beim schulpsychologischen Dienst angemeldet und erhalten spezielle Fördermassnahmen. Die Defizite der Erziehung sollen nun durch sogenannte integrative Fördermassnahmen (IF) behoben werden. Das mag in einzelnen Fällen gelingen, in der Regel mischen aber solche Kinder ganze Klassen auf. Was das Kind bräuchte wären klare Richtlinien in der Erziehung. Oft sind die Eltern mit der Erziehung überfordert und suchen die Schuld des Fehlverhaltens ihrer Kinder bei den Lehrpersonen, weil das Kind aufgrund seiner Disposition und seiner Defizite auch schulisch nicht genügen kann. Diese mangelnde Kooperation in der Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen macht den Erziehungsprozess noch schwieriger.

Die meisten Kinder bilden im Laufe der Schulzeit ihre sozialen Kompetenzen positiv aus, einige tun sich sehr schwer damit. Für diese müssen wir den Mut aufbringen, wieder spezielle Förderklassen einzuführen. Zu ihrem eigenen Wohl und zum Wohle der andern Kinder. Dort wo die Integration versagt ist sie auch nicht zielführend und eine falsch gelebte Integration.

14 PolitikerInnen aus Graubünden. Jeden Donnerstag nimmt eine/r zu einem aktuellen Thema Stellung, die anderen Mitglieder des Politforums können diesen Beitrag ihrerseits kommentieren.

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(Bild: GRHeute)