Wieder einmal stehen wir vor einer Initiative, bei der wir etwas annehmen müssen, um etwas abzulehnen, respektive gegen etwas zu sein. Mit anderen Worten, wenn Sie gegen eine zweite Fremdsprache auf der Primarschule sind, dann sind Sie für die Initiative und müssten sie demzufolge annehmen. Zur Erklärung sollte ich vielleicht einige Informationen zu meiner Person abgeben. Seit 35 Jahren habe ich im Kanton Graubünden auf der Sekundarstufe Sprachen unterrichtet. In dieser Zeit habe ich einige Erfahrungen gemacht, die ich Ihnen in der Folge in meine Stellungnahme einfliessen lassen möchte.
Dass die meisten Primarschüler mit einer zweiten Fremdsprache hoffnungslos überlastet sind, habe ich in den letzten Jahren an der Tatsache festgestellt, dass ihre Kenntnisse im Deutsch massiv nachgelassen haben. Der Satz:“Wir haben über diese Frage abgestummen….“ (aus einer schriftlichen Arbeit) ist absolut kein Einzelfall und dennoch definitiv nicht als korrektes Deutsch zu bezeichnen.
Nun stellt sich natürlich noch die Frage, welche Fremdsprache, Italienisch oder Englisch, soll man als erste Fremdsprache in den Bündner Primarschulen unterrichten. Mit der Wahl von Italienisch würden die Bündner Schüler zu Sprachexoten innerhalb der übrigen LP-21-Kantone(=Kantone, die den Lehrplan 21 eingeführt haben). Was das bedeutet, habe ich in den letzten Jahren immer wieder im eigenen Unterricht erlebt. Familien aus anderen LP-21-Kantonen sind in unseren Kanton gezogen und haben ihre Kinder in unsere Schulen gebracht. Diese Kinder befanden sich massiv im Nachteil, weil sie meistens Französisch als erste Fremdsprache hatten. Ab diesem Jahr mit dem Lehrplan 21 beginnen unsere direkten Nachbarn (ausser Tessin) mit Englisch als erster Frühfremdsprache, wir hingegen beharren auf unserer Kantonssprache Italienisch. Das Tessin und die übrige Deutschschweiz bleiben auf dem Französisch als erste Frühfremdsprache. So würde also unser Bündner Sprachenkonzept weiterhin der Exot bleiben.
Es ist klar, dass Sprachorganisationen wie Lia Rumantscha und Pgi behaupten, es ginge mit der Wahl von Englisch als erster Frühfremdsprache ein Teil unserer Kantonsidentität verloren. Diesem Argument möchte ich allerdings entgegenhalten, dass mich meine langjährige Erfahrung im Fremdsprachenunterricht etwas anderes lehrt.
Früher, als ich auf der Oberstufe noch Anfänger im Italienisch unterrichten durfte, habe ich mit diesen Schülern nach einem, zwei, oder drei Jahren ein Niveau erreicht, das ich in den letzten Jahren nicht im Entferntesten oder nur noch in Ausnahmefällen erlangte. Es gelang mir damals, die Freude an dieser wunderbaren Sprache zu wecken und damit auch eine gewisse Leistungsbereitschaft. Leider war das in den letzten Jahren eher ein Kampf gegen Windmühlen. Das liegt bestimmt einerseits an der deutlichen Überlastung der Primarschüler. Andrerseits musste ich bei den meisten Neuankömmlingen in der Sekundarschule gegen eine unheimliche Abneigung, Ablehnung gegen das Italienische ankämpfen. Eine solche Aversion habe ich in all meinen Unterrichtsjahren weder gegen das Französische noch gegen das Englische je erlebt. Woher diese Abneigung gegen diese unbestritten schöne Sprache rührt, entzieht sich meiner Kenntnis. Man könnte hier Vermutungen oder Schuldzuweisungen anbringen, aber das liegt mir an dieser Stelle fern.
Die Fremdspracheninitiative möchte nicht nur die Schüler entlasten, sondern natürlich auch den Lehrkörper. Sie will das Schwergewicht, das momentan auf der sprachlichen Seite liegt, etwas ausgleichen.
Wenn ich noch schulpflichtige Kinder oder schon schulpflichtige Grosskinder hätte, würde ich für sie ein JA in die Urne legen. Damit tun sie auch kund, dass Ihnen das Wohl Ihres Kindes näher am Herzen liegt, als irgendwelche politischen Argumente.
Luzi Gubser, Davos Wiesen, Sekundarlehrer