Er sait: Der Adler ist nicht das Problem

Vor vielen Jahren hat die Schweiz Tausenden Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien Schutz geboten. Zwei ihrer Kinder sind in ihrer neuen Heimat zu Superstars herangewachsen, haben mit weiteren Secondos die Schweiz zu einem respektierten Fussballland gemacht, uns zigmal an EM- und WM-Endrunden geschossen und nun gegen Serbien auch ins Glück. Danke, Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri!

Dann machen die beiden den Adler – und ein Grossteil der Schweiz fühlt sich erniedrigt, ausgenutzt, als Mittel zum Zweck.

Ich juble lieber und mache den Adler mit – so wie es Stephan Lichtsteiner tat. Schliesslich kann man nicht behaupten, die beiden hätten der Schweiz nichts zurückgegeben, oder? Wenn das nicht eine Win-Win-Situation ist, was dann? Wenn in diesem Symbol eine politische Komponente steckt, dann hat das nichts mit der Schweiz zu tun. Aber darum gehts in diesem Beitrag nicht. Schliesslich stört sich auch kaum jemand an einem kanadisch-schweizerischen Hockeyspieler, der das Ahornblatt auf die Schulter tätowiert hat und in der Schweizer Auswahl mitspielt. Wenn also Schweizer und Albaner befreundet sind und voneinander profitieren (wie es seit Jahrzehnten mit den Italienern funktioniert), dann weiss ich beim besten Willen nicht, warum man sich beleidigt fühlen soll, wenn die beiden ihrer zweiten Heimat Tribut zollen. Schliesslich haben sie den gleichen roten Pass wie ihre lautesten Kritiker – und sie haben für die Schweiz getroffen. Für jenes Fussballland, für das sie sich einst entschieden haben. Das ist in etwa dasselbe, wie wenn sich ein Atheist in seiner Ehre verletzt fühlt, wenn sich ein Fussballer nach einem Tor bekreuzigt.

Was steckt wirklich dahinter?

Trotzdem stellt sich die Frage: Warum dreht der durchschnittliche Schweizer deswegen durch? Weshalb glühen die sozialen Medien wegen dieser Geste am Siedepunkt? Warum fallen bei vielen alle Hemmungen des Anstandes, statt sich über den legendären Schweizer Sieg zu freuen? Wer behauptet, das sei plumper Rassismus und Doppelmoral, denkt zu kurz. Der Boden dieser verbalen Entladungen ist im Alltag zu finden. Jeder sieht, dass sich heute in der Schweiz – vor allem in den Städten – ein anderes Bild auf den Strassen zeigt als noch vor ein paar Jahren. Verschleierte Frauen, Gruppen von Afrikanern, unbekannte Sprachen: Es ist eine Tatsache, dass diese plötzliche neue Welt viele verunsichert. Damit müssen sich die «Ängstlichen» arrangieren: Die «weisse Schweiz», wie sie mal war, ist Vergangenheit, und sie wird so auch nie mehr zurückkommen. Schon vor der WM waren in den sozialen Medien diverse Memes mit dieser versteckten, rassistischen Kritik über die «Schweic» im Umlauf.

Die Entladung der Ängste

Die Politik sollte nicht ignorieren, dass diese Ängste die Saat für eine weitere Radikalisierung sind, wenn sie nicht adressiert werden. Viele haben in den letzten Jahren das den Schweizern so wichtige Sicherheitsgefühl verloren, auch das Vertrauen in den Staat, die ihre Einwände – Stichwort Masseneinwanderungsinitiative – nicht wirklich ernst genommen hat. Ein beträchtlicher Teil der Einheimischen hat solche Gedanken und Ängste, Gefühle der Machtlosigkeit und der Resignation. Und dann kommt die Fussball-WM, ein Adler-Symbol eines Schweizers mit albanischem Background – und schon entlädt sich bei vielen das Gefühl, dass die Schweiz mitten im Prozess ist, sich zu verkaufen. Was davon gerechtfertigt ist oder nicht, bleibe an dieser Stelle dahingestellt.

Die Politik versagt bei dieser Diskussion

Es ist aber auf jeden Fall die Aufgabe der offiziellen Schweiz, diese Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen. Stattdessen liest man in den Social Media, wie sich Politiker über die «rassistischen Wutbürger» lustig machen, sie demütigen und damit noch mehr Öl ins Feuer schütten. Dass linke Super-Gaus wie Cédric Wermuth wenig anderes im Repertoire haben als hirnlose und verantwortungslose Provokation, ist bekannt. Dass aber auch sogenannt besonnene Mitte-Politiker wie CVP-Nationalrat Stefan Müller, der Kritiker der Adlergeste pauschal als Nationalisten brandmarkt, in den Kanon der Erniedrigung einstimmen, zeigt leider, dass nicht nur Schweizer Fussballer, sondern auch Politiker in den sozialen Medien Impuls über Intelligenz stellen.

Also, machen wir den Adler, freuen uns für die Schweiz und bieten, ob links oder rechts, respektlosen Brandstiftern die Stirn. Dazu braucht es aber zwingend eine Klärung, wie die Schweiz in Zukunft aussehen und funktionieren soll.

 

(Bild: Bild-Montage GRHeute/Twitter)