In der Rubrik «Musik jenseits der Berge» besprechen wir in unregelmässigen Abständen Bands, die keinen oder nur einen minimalen Bezug zu Graubünden haben. In der dreizehnten Ausgabe haben wir uns mit dem neuen Werk «Vrenelisgärtli» der Glarner Rapduos Radical & YT auseinander gesetzt.
Und so klingt das neue Werk der zwei Zigerschlitzer.
Sturm
Die erste Nummer eines Albums ist vielfach die Entscheidende, ob man die CD auch wirklich kauft. YT und Radical machen keinen Fehler und hängen anstatt ein elend langes Intro hier direkt einen ziemlichen Kracher an die Front. Ein kurzes Piano-Instrumental führt einen in die Welt der beiden Glarner und man spürt, hier ist ein mächtiger Sturm im Anflug. Das Gitarrensample ist eine witzige Überleitung und Radical legt mit den ersten Zeilen sein Seelenzustand offen. Es wird sofort klar, hier wird mit offenen Karten gespielt und gezeigt, dass es nicht sinnlos ist, gegen die Stürme des Lebens anzukämpfen. Coole Einstiegsnummer, die Mut spendet und aufbaut.
Countdown
Der Countdown ist gestartet, die Mikrophone sind eingewärmt, es kann also losgehen mit dem grossen Rapfestival der Schlitzboys. Der moderne Beat pumpt recht episch. Diese Nummer wird live sicher ein ziemlicher Kracher, wofür die zwei Rapper auch ihrem DJ Blackflame fetten Tribut zollen dürfen. Ein ziemliches Brett, das Bock auf mehr macht.
Status
Die Jungen würden diesen Track sicher als ziemlich lit bezeichnen. Hier ist moderner Rap zu hören, der frontet und zeigt, was die beiden bisher schon erreicht haben. Interessant, aber irgendwie macht’s bei mir nicht beim ersten Durchhören sofort Klick, da die Nummer ähnlich wie viele andere klingt.
Fata Morgana
Der orientalisch angehauchte Beat lässt einen zurück lehnen, und doch hängt man an den Lippen von YT, der hier einen weiteren Track im Stil seines Liedes «Luxusproblem» lostritt. Die Sozialkritik an der unsäglichen Konsumgesellschaft lässt einen etwas betrübt zurück. Eine geschickt zusammengestrickte Geschichte von Radical und YT. Interessant, wie sie hier die sozialen Medien und die Scheinwelt von vielen Benutzern gegenüber der Öffentlichkeit offen legen. Well done.
Hier noch das Audio zur Nummer:
Vrenelisgärtli
Der Titeltrack erinnert mich von der Melodie her irgendwie an Eurodancezeiten. Eine schöne aufmunternde Geschichte, die ziemlich mitreissend ist. Es ist erlaubt, an seine Träume zu glauben und dafür durch die Hölle zu gehen. Ziemlich dynamisch und auffordernd zur Selbstverwirklichung. Ein gelungener Titeltrack, der durch die beiden Geschichtenerzähler seine Wirkung nicht verfehlt. Ein sicherer Videokandidat!
Tränämeer
Bei diesem Titel kommt mir gleich eine Nummer von Ritschi in den Sinn, die ziemlich over the top ist, wenn es um den Trennungsschmerz geht. Doch die beiden Herren haben andere Geschichten auf dem Kerbholz als der Berner Popstar. Hier geht es um die düstere Vergangenheit von YT und ein verstorbenes Geschwister von Radical. Bei der Offenherzigkeit der Jungs muss man hin und wieder ein wenig leer schlucken, da ihre Geschichten ziemlich unter die Haut gehen. Wow!
Prin to Telos
Holy shit. Was für ein geiler Beat. Da kriecht direkt der Neid in mir empor. Ein echtes Boom-Bap-Brett, bei dem man den beiden Geschichtenerzählern gerne zuhört. Das ist echte Musik von echten Menschen mit ihren Fehlern und Zielen. Hoffnungsschwanger erzählen sie voller Dankbarkeit aus ihrem Leben. Sie haben noch viel vor in ihren Leben und es sei ihnen gegönnt, wenn sie dann effektiv mal mit einem Lachen auf den Lippen irgendwann in ferner Zukunft abtreten können. Einer der grossen Gänsehautmomente auf dieser LP. Real!
100
Awww yeah. Hier kommt der Kopfnickersound. Aggressiv flext Radical fast wie ein Maschinengewehr über den Beat. Das Durchdrehen wegen der allgemeinen Anschissmomente im Alltag wird hier zelebriert und jeder Depp, der unnötig Stress macht, bekommt sein Fett weg. Mal etwas anderes.
Keis Problem
Im Gegensatz zum aggressiven Vorgänger gibt’s bei dieser Nummer kein Problem. Die beiden Herren bearbeiten die schöne Melodie im Hintergrund mit feinstem Battlerap. Dass dies die Königsdisziplin im Glarnerland ist, hat nicht nur die Legende Bandit bewiesen; hier wird wieder mal gezeigt, was mit solidem Selbstvertrauen, Talent, und Liebe zur Musik erschaffen werden kann. Und es ist, was es ist: Ein Hit.
Jedä kännt Jedä
Schlitz bébé! Eine weitere Kritik an die Selbstdarstellungen von Menschen aus Instagram, Facebook und co. Es dünkt mich fast ein bisschen, dass die zwei Herren hörbar Mühe haben mit der Digitalisierung und viel Wert auf das Kommunizieren von Mensch zu Mensch legen. Eine angenehme kurze Nummer, die zum Nachdenken anregt und wieder mehr Zeit im echten Leben fordert, wobei sich Unzählige an der eigenen Nase nehmen können.
#Herbschtimschlitz
Der Sommer hat auch im Glarnerland Einzug gehalten, und doch schaffen die beiden Herren hier eine Hymne auf die Melancholie. Der Track beginnt klassisch und bricht dann in einen grauen Epos zusammen. Eine sehr poetisch gehaltene Ode an die Heimat, die die Hoffnung nie verliert, dass nach jedem Winter auch wieder ein Sommer kommt. Die ländlichen Bilder, welche die zwei Rapper hier malen, drängen einem fast danach, wieder mal in den Schlitz zu reisen.
Schlussfazit:
Rap aus dem Zigerschlitz muss nicht nur von «Luut und Tüütli» kommen. Nein, der erfahrene Radical und der junge Rookie YT zeigen, dass der Schlitz in Sachen Rap einen wahnsinnigen Facettenreichtum aufweist und sich überhaupt nicht verstecken muss. Die beiden Rapper aus zwei verschiedenen Generationen verbinden nicht nur stilmässig verschiedene Rapdekaden, auch bei den Themen haben sie einen gemeinsamen roten Faden gefunden. Die elf Lieder umfassen eine grosse Bandbreite an Themen und sind alles andere als 0815. «Vrenelisgärtli» ist ein Album, das etwas kurz gehalten, aber ziemlich abwechslungsreich und spannend ausgefallen ist. Das Zusammenspiel der beiden Brüder im Geiste ist eine längst überfällige Kooperation, die sich ideal ergänzt und diesen Sommer sicher noch für einige Furore in der Schweizer Raplandschaft sorgen wird.