Die Entscheidung naht: In vier Wochen wissen wir, wer Graubünden regieren wird. Nachdem der erste Rauch aus dem Baukartell-Skandal verflogen ist, sieht die Grosswetterlage ganz nach der 5×1-Formel in der Bündner Regierung aus. Die Prognose von GRHeute.
Lange war es ruhig, sehr ruhig im Wahlkampf um den Bündner Regierungsratssitz. Die BDP mokierte sich über die Google-Adwords-Kampagne der SVP. Ein Stürmchen im Wasserglas, gehören Werbemassnahmen auf der Suchmaschine doch schon längst zum Repertoire (fast) aller Parteien. Alles wies auf ein packendes Kopf-an-Kopf-Fotofinishs von vier Kandidaten um zwei offene Plätze aus – dass die drei Bisherigen Christian Rathgeb, Jon Domenic Parolini und Mario Cavigelli problemlos wieder gewählt werden, stand ausser Frage.
Fast schien, als ob «wir plötzlich alle Gangster seien», bemerkte ein Kandidat an einer Wahlveranstaltung. Den schlagartig rauhen Ton spürte auch der zweite CVP-Kandidat Marcus Caduff, der sich die Frage gefallen lassen musste, wie die CVP mit ihrem bescheidenen Wahlanteil von 17% zwei Regierungsratsitze beanspruchen könne.
Der Wahlkampf war nicht nur in Bewegung gekommen, sondern zu einer Hochgeschwindigkeits-Achterbahn mutiert: Gaudenz Bavier, Präsident der Bündner Grünliberalen, forderte auf GRHeute gar eine Verschiebung der Wahlen, bis alle Untersuchungen abgeschlossen seien. Der Künstler und Musiker Linard Bardill kündigte eine kurzfristige Kampf-Kandidatur an, um einen Neuanfang in der Bündner Politik zu ermöglichen. Böse Zungen sprachen angesichts des «Farbtupfers», aber auch der weitgehend fehlenden Führungserfahrung, von einem Klon des SP-Kandidaten Peter Peyer – ohne dessen politischen Background. Und so bleibt knapp vier Wochen vor den Wahlen ein kleines Trümmelfeld zurück, das aber dennoch eine ziemlich deutliche Aussage zulässt.
Christian Rathgeb: Mit dem Baukartell-Skandal hat FDP-Regierungsrat Christian Rathgeb «nichts» zu tun, die Verhaftung Adam Quadronis steht in einem anderen Zusammenhang. Rathgebs Position dürfte nicht geschwächt worden sein. Wahl-Chancen: 98%.
Mario Cavigelli: Viele Jäger haben dem CVP-Regierungspräsidenten seinen Faux-pas aus dem letzten Jahr nicht verziehen, auch seine medialen Aussagen im Zusammenhang mit Quadronis Behandlung kamen nicht überall gut an. Seine Wiederwahl ist gleichwohl sicher. Wahl-Chancen: 97%.
Jon Domenic Parolini: Der BDP-Regierungsrat kann sich auf sein «Bisherigen»-Label verlassen, das ihn den Baukartell-Sturm überstehen lassen sollte. Er wird wie seine Partei in der Wählergunst aber wohl Federn lassen müssen. Wahl-Chancen: 85%.
Peter Peyer: Der neue SP-Regierunsratskandidat ist auf bestem Weg, den Sitz seiner Partei in der Regierung zu verteidigen. Die tumultartigen Szenen in vielen bürgerlichen Parteien in den letzten Wochen haben die Wahl des Gewerkschafters nahezu gesichert. Wahl-Chancen: 78%.
Walter Schlegel: Die Untersuchung zur Verhaftung Quadronis dürfte – angesichts der Gewalt-Vorwürfe an die Adresse der Whistleblowers – wenig Auswirkungen auf das Wahl-Verhalten der Bündner haben. SVP-Polizeikommandat Walter Schlegel steht für Law & Order in einer Zeit, in der der Ruf nach Recht und Ordnung auch in Graubünden grösser wird. Wahl-Chancen: 78%.
Marcus Caduff: Der CEO des Regionalspitals Surselva sollte mit der Kandidatur politisch für höhere Weihen aufgebaut werden, hat aber im Zuge des Baukartell-Skandals Lunte gerochen. Trotzdem stellt sich die Frage, wer ausser der eigenen Partei zwei CVP-Regierungsräte will und wie sich eine entsprechende Überproportionalität rechtfertigen liesse. Wahl-Chancen: 49%.
Linard Bardill: Der späte Einstieg des Liedermachers in den Wahlkampf ist ein «Kollateralschaden» des Baukartell-Skandals, mehr aber auch nicht. Bardill ist sicher kreativ und bekannt. Dem Musiker fehlt aber der politische Background für eine ernsthafte Kandidatur, ausserdem dürften die Bündner Wähler wenig Interesse an einem Linksrutsch in der Regierung haben. Wahl-Chancen: 15%.
(Bildmontage: GRHeute)