Ist die Churer Altstadt tot? Dieser Frage gingen vier hochkaratige Gäste in der Churer Werkstatt nach: Isabel Schorer aus St. Gallen, Gabriela Bruno aus Zürich, Pascal Biedermann aus Basel and last, but not least, Churs Stadtpräsident Urs Marti. Aber eigentlich hätte es heissen sollen: Alle gegen Jakob Wyss.
Es geht Chur wie vielen anderen Städten in der Schweiz, ja auf der ganzen Welt: Das Internet verändert die Gewohnheiten der Menschen. Weniger kaufen weniger ein und sie gehen auch weniger lange einkaufen. Das bedeutet: Immer mehr Läden stehen leer. Auch in Chur, so scheint es. Eine mögliche Variante, die Leere dort und andeswo wieder zu füllen, wäre eine Zwischennutzung des Ladens.
«Was bedeutet denn das, immer mehr?» fragte Stadtpräsident Urs Marti am Dienstagabend anlässlich einer Podiumsdiskussion zum Thema «Zukunft und Belebung Churer Altstadt» in der Werkstatt. Der Raum war brechend voll, das Publikum durchmischt. «Wir müssen uns keine Sorgen machen, wir haben noch eine normale Leerstandsquote.»
Genauso sieht das der Basler Pascal Biedermann, der sich mit seiner «DAS Non Profit Management and Law» für Zwischennutzungen von leerstehenden Gebäuden einsetzt. «Ich konnte in Chur essen und einkaufen, das war gar kein Problem.» Da habe er schon ganz anderes gesehen. «Ich sehe Leere nicht als Problem, ich sehe Leere als Chance. Chancen sind sozusagen mein Metier», sagte Pascal Biedermann. «Bei einem Sennhof bekomme ich wässrige Augen.» Biedermann hat schon aus einem Bordell eine Bar gemacht.
Isabel Schorer, Leiterin Standortförderung Stadt St. Gallen, ist schon zu desilluosioniert, um noch wässrige Augen zu bekommen. Aus ihrer Erfahrung weiss sie, dass der Weg zur Zwischennutzung beschwerlich sein kann: «Wir haben festgestellt, dass Institutionen mit einem grossen finanziellen Background kein Interesse daran haben, ihr Geschäft für Zwischennutzungen frei zu geben. Sie haben es schlicht nicht nötig.» Aber auch Private seien oft nicht bereit, die Mieten zu senken. «Sie warten lieber Monat um Monat, um ihr Gebäude doch noch zum gewünschen Preis loszuwerden.»
Dabei, das ist sich Gabriela Bruno, Senior-Beratrin bei Wüest Partner AG in Zürich und einst Architektin in New York, sicher: «Leere ist ansteckend.» Sie ist sehr für Pop-Up-Stores, wie es sie zum Beispiel zur Weihnachtszeit in der Bahnhofstrasse in Zürich von Ikea und Porsche gab. «Die Vermieter müssen begreifen, dass eine Zwischennutzung weniger Verlust bedeutet als ein leer stehendes Gebäude.» Aber letzendlich sei einfach der Leidensdruck noch zuwenig hoch. «In New York sind Pop-Up-Stores normal, kaum ist ein Laden geschlossen, wird er zwischengenutzt.»
Schandfleck Pfisterplatz
Nach dem ersten Teil des Gesprächs forderte Moderationsleiterin Melanie Salis das Publikum auf, selbst Fragen zu stellen. Und dabei zeigte es sich: Viele stimmen mit den Rednerinnen und Rednern überein, doch der eigentliche Dorn im Auge von Ladenbetreibern und Anwohnern ist Jakob Wyss, Immobilienhändler aus Zürich, der ein grosses Haus am Pfisterplatz besitzt und umgebaut hat. «Er nimmt keine neuen Mieter, weil sie ihm nicht ins Konzept passen», sagte jemand aus dem Publikum und sprach damit zahlreichen Anwesenden aus dem Herzen. Jetzt werde es als Lager benutzt, «ein Schandfleck sondergleichen».
Kann man jemanden zwingen, innert einer gewissen Zeit das Gebäude weiter zu vermieten, damit es dem Stadtbild entspricht? «Nein», sagte Urs Marti, «der Staat hat keine Handhabe. Ein Eigentümer kann machen, was er will. Und das ist eigentlich gut so.» Jener Vermieter sei aber ein Einzelfall. «Unser Problem ist mehr, dass die Vermieter nicht offen sind für Zwischennutzungen.»
Ob und wie sich was ändert, daran kann die Churer Bevölkerung noch immer mitdiskutieren. Victor Zindel, Leiter der Wirtschaftsförderung der Stadt Chur, hatte alles Gesagte auf einem Diktiergerät aufgenommen. «Es geht nicht vergessen», sagte er. Und wer direkt ein Anliegen loswerden wollte, konnte es in einen eigens aufgestellten Briefkasten werfen.
(Bild: GRHeute)