Ein Online-Märchen, das auch in Graubünden möglich wäre

Digitalisierung heisst das Wort des Jahres – nicht nur in Graubünden. Die folgende Geschichte ist ein wahr gewordenes Märchen aus dem hohen Norden: Eine Handvoll junger Macher und Programmierer gründen eine Spielefirma – zwei Jahre später ist «Supercell» ein weltweiter Top Shot in der Unterhaltungselektronik. Ist das auch in Graubünden möglich?

Die Online-Technologie hat unzählige neue Branchen geschaffen. Und täglich schaffen neue Produkte den Durchbruch, in dem sie unser gewohntes Leben vereinfachen und vernetzen. Gemäss vielen Experten steht der grosse Durchbruch mit Web 4.0, dem Internet der Dinge, erst bevor. Auch bei uns ist es möglich, auf den Zug aufzuspringen und Graubünden – wie es die Bündner Regierung hofft – zu einem «Silicon Valley der Alpen» zu machen. Die nötige Infrastruktur ist vorhanden, mehrere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten gibts an der HTW und der ibW, finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand ist bei zukunftsträchtigen Projekten möglich. Und auch Fachkräfte im Management wären vorhanden. Trotzdem zieht es viele junge Talente wegen besserer Job- und Verdienstmöglichkeiten ins Unterland.

Dabei zeigt die folgende Geschichte, was auch ein kleines Team imstande ist zu leisten. Zugegebenermassen handelt es sich um einen extremen Ausreisser, der vom Forbes-Magazin im Mai als «schnellst wachsendes Unternehmen weltweit» bezeichnet wurde. Die Rede ist von «Supercell». Supercell? … Nie gehört? Dann gehören Sie wahrscheinlich nicht zur Sorte Mensch, die auf dem Smartphone Spiele spielt. Ernst nehmen sollte man die Branche auf jeden Fall, Games sind mit Smartphones erst recht zum Big Business geworden. Die Game-Industrie hat vom Mobile Boom mehr profitiert als jede andere Branche – und wächst stetig weiter. Im August bekräftigte dies auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie die Gamescom, die weltweit zweitgrösste Messe für Video- und Computerspiele in Köln, offiziell eröffnete: 360’000 Besucherinnen und Besucher zählte die Messe letztlich. In der Schweiz fördert Pro Helvetia mit Werkbeiträgen die Entwicklung von Games. Die Anzahl Start-ups im Game-Bereich hat sich von wenigen Pionieren 2005 auf rund 60 2015 vervielfacht.

Ilkka
Ilkka Paananen 2010.

Zurück zu Supercell: 2010 gründete der 31-jährige Ilkka Paananen mit einigen Mitstreitern die Firma in Helsinki. In einem 30 Quadratmeter grossen Zimmer mit sechs Second-Hand-Schreibtischen machten sich die jungen Programmierer dran, die Smartphone-Welt zu erobern. Ihr Erstlingswerk «Gunshine» war mässig erfolgreich. «Obwohl wir anfangs begeistert waren, stellten wir fest, dass die Spieler nach ein bis zwei Monaten genug hatten», so Paananen, «wir realisierten, dass das Spiel nie das sein würde, was wir uns erträumt hatten.» Schon im Jahr 2 nach der Gründung stand die Firma an einem Scheidepunkt. Sie entschied sich, alle «Ablenkungen» – in ihrem Fall Spiele-Entwicklungen für Facebook und Webbrowser – einzustellen, alle begonnenen Projekte abzubrechen und alles auf die Karte App-Entwicklung zu setzen. Eines der abgesetzten Spiele, ein 5-Mann-Projekt namens «Magic», war die Basis für das erste ’neue› App-Spiel, das im August 2012 auf iOS und später auf Android erschien. Sein Name: «Clash of Clans». Zusammen mit einem weiteren Spiel, der Bauernhof-Simulation «Hay Day», startete «Supercell» über Nacht durch: Der Rockstar der App-Games setzte ein halbes Jahr später allein mit diesen beiden Spielen weltweit 2,3 Millionen Dollar um – täglich. Im Oktober verkauften die Gründer 51% der Firmananteile an eine japanische Bank – für 1,5 Milliarden Dollar. Weitere erfolgreiche und in der Machart ähnliche Titel (z.B. «Boom Beach» und «Clash Royale») erschienen, das Freemium-Modell mit In-App-Käufen floriert bis heute ungebrochen. In ihrer Machart vertrauen die Supercell-Gamedesigner ganz auf das Jäger- und Sammler-Gen der Zocker, in einem Spiel, das endlos ist – sprich, bei dem man seine Figuren oder Karten oder Helden stetig weiter entwickeln kann. Ganz nach dem Motto: Je mehr Zeit man investiert, desto besser wird man, desto schwieriger wird es aufzuhören. Auch bei den fnnischen Aufsteigern klappt aber nicht alles: Auf vier veröffentlichte Spiele kommen bei Supercell 14 gescheiterte Versuche. Spiele, die meist schon in der Entwicklungsphase wieder eingestampft wurden.

«Mein grösster Albtraum ist es, morgens aufzuwachen und zu realisieren, dass wir ein Jahr lang nie gescheitert sind», schreibt Paananen auf der Supercell-Webseite, «jedes Versagen macht uns besser. Wir haben eine Tradition, die bittere Lektionen des Scheiterns zu zelebrieren, in dem wir dann jeweils Champagner trinken. Für uns ist klar: Wer Hit-Games veröffentlichen will, muss Risiken eingehen. Und per Definition heisst das, mehr zu scheitern als Erfolg zu haben. Wann immer wir merken, dass wir eine Weile nicht gescheitert sind, ist das ein Zeichen, dass wir zu wenig riskiert haben. Und das ist letztlich das grösstmögliche Risiko für eine kreative Firma, wie wir es sind.»

Ein Prost aufs Scheitern.
Das Supercell-Team: Ein Prost aufs Scheitern.

Im Juni letzten Jahres kaufte der chinesischer Internet-Gigant Tencent 84,3% der Firma für 8,6 Milliarden Dollar. Damit war Supercell nach fünf Jahren Existenz bereits mehr wert als beispielsweise die Schweizer Traditionsmarke «Rolex». «In unseren Augen sind wir immer noch eine junge Firma wie in den ersten Jahren. Unser Traum ist es, Spiele zu designen, an die sich die Leute jahrelang erinnern und jahrzehntelang spielen. Und wir wollen auch eine Firma bauen, die Jahrzehnte überdauern wird.» Mittlerweile beschäftigt die Tech-Firma moderate 231 Mitarbeiter und generierte letztes Jahr über 300 Millionen Euro an Steuereinnahmen für Finnland – damit ist Supercell unter den finnischen Unternehmen der zweitgrösste Steuerzahler des Landes.

Supercell ist eine Firma, die den Zeitgeist in aller Konsequenz lebt. Alle Mitarbeitenden sind an der Firma beteiligt. Sie spendete nach wenigen Jahren der Existenz rund 4 Millionen Euro für ein Kinderspital, die grösste Spende aller Zeiten in Finnland. Weitere 2,5 Millionen Euro folgten für das Jugenddepartement von Helsinki für die Unterstützung bei der Integration von jungen Migranten. Und für den Bau eines Game Museums in Tampere stieg Supercell sofort zum Investor Nummer 1 auf. Wohin das Märchen «Supercell» noch führt, steht in den Sternen geschrieben. Für Paananen ist die Stossrichtung klar: Er will der Lebensdauer von Spielen ein Ende setzen, sucht nach Konzepten, die möglichst ein Leben lang motivieren, an einem Spiel dran zu bleiben. 10 Millionen Clash-of-Clans-Spieler öffnen die App heute jeden Tag durchschnittlich 10-mal. Kein Wunder, werden die noch nicht 40-jährigen Firmen-Chefs auch mal etwas übermütig: Beim letztjährigen Super Bowl gab die Firma 9 Millionen Dollar aus, um im Umfeld des grössten Sportereignisses der USA 60 Werbesekunden einzukaufen. Der Spot mit «Rächer» Liam Neeson gehörte zu den Populärsten und wurde bis heute über 164 Millionen Mal angeklickt.

Supercell produziert Zahlen, die schwindlig machen. Einr Firma, die aus dem Boden gestampft innert fünf Jahren aus dem Nichts zu einem der heissesten Big Players der weltweiten Unterhaltungswirtschaft gewachsen ist. Und das mit Smartphone Games. Schöne neue Internet-Welt. Eine Welt, an der auch Graubünden in jedwelcher Form teilhaben will. Und warum sollte sich eine solche Geschichte eigentlich nicht auch bei uns wiederholen? Vergessen wir mal die überirdischen Supercell-Dimensionen: «Digitale Erfolgsstorys» gibt es schon heute in Graubünden. Wenn Graubünden aber tatsächlich das «Silicon Valley» der Alpen sein will, muss noch viel mehr kommen.

 

PS: Der Autor spielt Supercells «Clash Royale» und steht bei stolzen 2819 Pokalen.  

 

(Bilder: zVg./Supercell)