Bluemoon’s Blog: Archivperlen – Das Ende der Sehnsucht Teil 5/13 (2006)

Kürzlich durchforstete ich mein Archiv und fand darin unverwendete Perlen. Nun werde ich in unregelmässigen Abständen hier auf GRHeute, Geschichten, Gedichte und anderes Chrüsimüsi publizieren. Mit 18 schrieb ich ein Buch, druckte es als ich 20 wurde 50 Mal und wenig später verschwand es dann wieder von der Bildfläche. Nun möchte ich es euch hier nicht vorenthalten. Diese Perle hier stammt aus dem Jahre 2006. Viel Spass damit!

 

Nach diesem recht schleppenden Anfang begann der Kontakt zwischen den Beiden ein Perpetuum mobile zu werden. Sie schrieben sich nun täglich mehrere Male. Schon ziemlich bald kannte Naeco diese Angelina ziemlich gut und doch wollte er immer mehr von ihr erfahren. Dieser spezielle Wissensdurst war auch von Seiten Angelinas kaum zu stillen. Sie fragte Naeco Löcher in den Bauch und dieser genoss es in vollen Zügen.

Noch nie hatte eine Frau ihn so viele verschiedene Dinge gefragt und sich so sehr für ihn interessiert. Beide faszinierten einander gegenseitig. Doch Naeco war sehr vorsichtig geworden mit sich verlieben, denn er hatte sich an heiser Liebe schon oft die Finger verbrannt. Liebe war eigentlich überhaupt noch nicht das Thema.

Beide fühlten eine tiefe Seelenverwandtschaft in ihren Herzen und schätzten diese als sehr wertvoll ein. Nach vierzehn Tagen und dreizehn Nächten stand dann auch schon das erste Treffen an. Es scheint vielleicht ein wenig sehr früh, doch für Naeco stimmte es total und ausserdem hatte Angelina die alles entscheidende Frage für das Treffen gestellt. Diese Einladung nahm Naeco natürlich sehr gerne an.

Der abgemachte Treffpunkt war der alte Brunnen am äussersten Rande der nahegelegenen Nachbarstadt. Naeco war noch nicht sehr oft dort gewesen, aber er genoss das Plätschern des Wassers, das an sein Ohr drang, als er aus dem Tram stieg.

Eigentlich war es eine dumme Idee im Spätherbst sich bei einem Brunnen zu verabreden, aber dies war jetzt ein wenig bedeutungsschwangeres Detail, welches sich als Nebengedanken zu den anderen aufgemischten Gedanken in seinem Kopf reihte und das grosse Durcheinander noch ein bisschen mehr durcheinander brachte. Naeco setzte sich auf eine Bank, wie er es gelegentlich tat, wenn er nicht mehr weiter wusste oder ideenlos war.

Wie war sie echt so? Wie war ihre Aura? Spürte man Wärme, wenn man mit ihr sprach? Konnte sie sich auch so gut ausdrücken im Gespräch, wie sie schrieb? War sie schön? Oder war sie eine dieser Frauen, die zwar nett, aber keine Augenweide waren? War das Ganze vielleicht doch nur eine Verarschung? Oder war es vielleicht so, dass sie die Mails irgendwo abgeschrieben hatte und gar nicht so war wie sie schrieb?

Eigentlich wusste er ziemlich viel über Angelina und doch wusste er gar nichts. Es könnte auch alles einer dieser 08-15-Träume gewesen sein und er würde gleich schweissgebadet in seinem Bett erwachen. Er hielt es fast nicht mehr aus. Naeco wurde fast erdrückt von all den Zweifeln, als er plötzlich von tief, direkt aus der eingeklemmten Seele heraus, ein „Mein Gott, wo bleibt sie?“ hervorbrachte.

Was? Was war denn das gewesen? Naeco traute seinen Ohren nicht. Unweit von ihm hatte jemand ihm zeitgleich dieselben Wörter gleich gesprochen. Fast gleich. Das letzte Wort war ein „er.“ Welch ein Zufall.

Naeco drehte sich langsam zur Seite. Neben ihm sass eine junge Frau, die ihn anblickte. Beide waren ziemlich verdutzt und schauten sich dementsprechend an, bis beide plötzlich loslachen mussten. Ohne Worte, es war klar, wer wer war.

Ach, wie dämlich sie doch waren! Sie hatten die ständige Zeit nebeneinander gesessen, waren jedoch dermassen in sich gekehrt, dass sie sich nicht einmal bemerkt hatten. Und jetzt das. Sie hatten genau das Gleiche zur gleichen Zeit ausgesprochen.

Naecos Mutter pflegte dann jeweils zu sagen: „Jetzt haben wir gerade eine arme Seele gerettet.“ Ja, wahrhaft hatten sie dies heute getan, nämlich Naecos. Angelina und Naeco sahen sich an und sprachen erst einmal für längere Zeit nichts. Beide liessen die Blicke schweifen und musterten sich gegenseitig für Minuten.

Angelina war schöner, als er es gedacht oder erträumt hatte. Sie hatte mittellanges Haar. Ihre Augen strahlten vor Lebensfreude und Tiefgründigkeit, dass es Naeco beinahe umwuchtete. Sie war schlank, doch nicht mager, irgendwie genau richtig. Andere hätten sie eher als ein wenig pummelig eingestuft, doch Naeco war eben nicht einer dieser Modelanhängertypen, die es liebten, wenn man Knochen zählen konnte. Sie war relativ klein, doch hatte eine solche Ausstrahlung, dass man dies nicht als Defizit einstufte, sondern eher fast nicht mehr von Wolke sieben herabsteigen konnte, da sie einem immer wieder hinaufschweben liess, diese süsse Dame. Ja, gewiss ein Sweetie war sie.

Ganz zuletzt bemerkte er etwas, was er bei vielen anderen Frauen stets zuerst sah, da sie sonst keine Faszination mit sich brachten, ihren Busen. Dieser kam dann auch noch äusserst wohlgeformt daher. Naeco musste schmunzeln. Es waren gewiss schon zehn Minuten vergangen, in denen sie sich nur angesehen hatten.

Doch auf Naecos andauerndes Schweigen, ergriff Angelina dann plötzlich die Initiative:
„So, Naeco, wie geht’s dir?“
Naeco untertrieb stark und sagte: „Ähm, ganz gut und dir?“
„Auch bestens.“
„Komm, lass uns irgendwo in ein Café gehen. Hier ist es ein wenig sehr kalt.“, brachte Naeco hervor.
„Ja, auf jeden Fall… Wo gedenkst du denn hinzugehen?“
„Ja, weiss auch nicht so recht… Das Café Ramur ist noch recht schön und auch von den Preisen ganz ok.“

Warum, um Himmels Willen hatte er das mit den Preisen noch gesagt? Er hatte ja mehr als genug Geld im Moment. Doch Angelina ging darauf erst gar nicht gross ein und sprach:
„Ja, das ist cool. Habe bisher nur Gutes davon gehört.“

Das Café lag gleich circa 100 Meter weiter links um die Ecke. Naeco hatte dort ein Mal was Kleines gegessen und kannte es von daher. Der Herbst hatte in dieser Gegend voll Einzug genommen und der Nebel legte sein graues Gewand um die ganze Gegend. Er konnte immer noch nicht vom Winter verdrängt werden, also trieb er weiter dahin und liess nur seine Kälte spielen.

„Ist schon recht kalt für Anfang November…“

„Ja, da hast du recht Naeco. Aber ich liebe diese Jahreszeit, da die Leute je kälter es wird, immer nachdenklicher werden.“

„Ja, schon. Tragischerweise beginnen die Menschen erst dann übers Sterben nachzudenken. In diesem Falle der Sommer und der Zerfall ihres eigenen Glücks.“

„Und doch ist es interessant, wenn die Menschen beginnen zu denken und ihren Lebenssinn zu suchen und ihn dann im Advent für kurze Zeit wiederfinden und Anderen Gutes tun.“

Es war unglaublich schön, wie zuckersüss sie sprach; Naeco war fasziniert und konnte nur noch ein „Ja, das stimmt!“ herausstammeln. Wie es sich für einen Gentleman gehört, hielt er ihr die Eingangstüre des Cafés auf, dass sie ohne grosse Mühe eintreten konnte. Sie lächelte und dankte, er lächelte zurück und sagte „Gern geschehen.“ Das war jetzt also dieses Café La Ramur.

Es hatte sich stark verändert seit Naecos letztem Besuch hier. Wahrscheinlich hatten sie letzten Sommer umgebaut, denn alles sah noch sehr neu und unbenutzt aus. Sie setzten sich hinten links ins Café. Es war eine ganz entspannende Ecke mit gemütlichen Kissen und einer alten Uhr an der Wand dahinter. Angelina und Naeco sassen sich gegenüber.

So konnten sie sich weiterhin ansehen und ihr Gespräch weiterführen. Durch die Stube drang ganz mitläuferisch irgendein Jazzsound, den Naeco so etwa den 50ern zu ordnete und welcher die sehr entspannte, chillige Atmosphäre noch weiter umrahmte. Es vergingen kaum zwei Minuten, da stand schon die Serviertochter an ihrem Tisch und nahm die Bestellung entgegen. Angelina nahm einen Pfefferminztee. Naeco bestellte einen Latte Macchiato. Er fand es passend in einem Café auch einen Café zu ordern. Angelina hatte immer noch dieses süsse Lächeln auf den Lippen und Naecos Zufriedenheitsgrinsen wäre wahrscheinlich im Moment des Geschehens auch für eine Breitleinwand noch zu gross und würde bei anderen das Gesicht unkennbar verformen. Doch Naeco hatte keine solchen Sorgen. Ganz im Gegenteil, er war glücklich. Sie erfüllte ihn mit Wärme.

„Du bist wunderschön.“, sollte er etwas in diese Richtung hervorbringen? Nein, es war noch zu früh…

„Ist noch ganz schön hier. Du hast einen guten Geschmack.“, sagte Angelina dann plötzlich und brach damit die Ruhe, die zwischen sie getreten war.

„Merci. Ja, gefällt mir auch sehr gut hier. Ist sicher nicht das letzte Mal, dass ich hier bin.“

„Ja, für mich auch sicher nicht. Hey, was arbeitest du eigentlich? Habe ich dich glaube ich noch nicht gefragt.“

„Im Moment nichts und ich werde wahrscheinlich, auch wenn es komisch tönt, für eine Weile nichts mehr Grosses werken.“

„Schon ok. Kann ich verstehen. Ich wünschte mir, ich könnte auch einmal aus diesem grauen Alltagstrott meiner Arbeit austreten…“ Naeco lauschte auf.

„Ja, es ist einfach gesagt, aber schwer umzusetzen, denn eine kurzfristige Kündigung kann schwer an der Existenz rütteln.“ Naeco wusste nicht so recht, was antworten, da dieser Satz keine Antwort abverlangte.

„Irgendwie hast du Recht…“, fuhr er dann trotzdem weiter, „aber schliesslich lebt man nur einmal…“ „Ja schon, aber…“ Naeco unterbrach sie, da er fühlte, dass sie genau das hören wollte.

„Du bist jung. Die Welt ist da draussen, aber auch tief in dir. Was nützt es dich einen Beruf zu machen, nur um Geld zu verdienen um ein kleineres Quäntchen Glück kaufen zu können?“

Angelina schaute ihn mit wunscherfüllten Augen an und blieb nickend still. „Erzähl mir deine Träume. Lass mich wissen, was du willst.“ Angelina horchte auf. „Was wäre denn dein Traumjob?“ „Eigentlich wollte ich mal…“ „Ja?!?“ „…Prinzessin werden.“

Naeco lachte sie nicht aus. Er verstand sie und konnte sich sehr gut in sie einfühlen. Alles machte Sinn und nichts war unwichtig, hirngespenstisch oder kindisch. Im Gegenteil man musste das innere Kind begreifen, um zur ewigen Wahrheit reifen zu können. Angelina sah Naeco an. Sie war total verwundert, da er sie nicht ausgelacht hatte.

Die Getränke kamen an und sie zauberte für sein Verständnis ihr gegenüber wieder ihr honigmelonensüsses Lächeln auf ihre Lippen. Sie unterhielten sich noch lange über ihre Träume und Wünsche. Naeco hörte vor allem zu, gab Ratschläge und fühlte mit, während Angelina frei aus ihrer Seele plauderte. Es war für beide ein wunderschöner Samstagnachmittag mit vielen neuen Erfahrungen und befreiten Sehnsüchten.

Beide liessen sich am Abend in ihre Betten sinken und eins war ganz klar, wie ein Bergbach, sie mussten sich wieder sehen.