Bluemoon’s Blog: Archivperlen – Das Ende der Sehnucht Teil 3/13 (2006)

Kürzlich durchforstete ich mein Archiv und fand darin unverwendete Perlen. Nun werde ich in unregelmässigen Abständen hier auf GRHeute, Geschichten, Gedichte und anderes Chrüsimüsi publizieren. Mit 18 schrieb ich ein Buch, druckte es als ich 20 wurde 50 Mal und wenig später verschwand es dann wieder von der Bildfläche. Nun möchte ich es euch hier nicht vorenthalten. Diese Perle hier stammt aus dem Jahre 2008. Viel Spass damit!

 

Es war an einem dieser flauen, langweiligen Mittwochmorgen an dem Naecos Augen sich langsam öffneten, gekitzelt von den Mittagsonnenstrahlen, welche langsam und behutsam sich durch sein Fenster schlichen. Naeco blickte flüchtig auf die Uhr, um festzustellen, dass es die Zeit noch gab, aber ohne danach genau zu wissen, welche Zeit denn wirklich war. Naeco blieb einen Moment lang liegen und hoffte auf die goldenen 15 Minuten. Doch heute wollten diese ihm schlicht und einfach keinen Besuch abstatten. Es war ihm eigentlich auch egal.

Er nahm die Fernbedienung seines CD-Players und drückte fünf Mal den On-Knopf bis die Maschine sich dann doch noch entschied anzuspringen. Es war immer eine seltsame Sache mit dem ersten Lied des Tages. Es konnte ihm jeweils gleich die ausgeschlafene, gute Stimmung zur Sau machen. Daher überlegte er abends peinlich genau, welchen Sound es morgen früh brauchen würde, um ihn aus den Federn zu locken. Oft war dies eine recht lange Zeit, welche dann leider auch automatisch von seiner Schlafzeit abging. Dies war zwar einerseits schade, doch anderseits wesentlich erträglicher als die Grundstimmung seiner Gefühle, welche ja eines der grössten und wertvollsten Grundkapitale für einen guten Tag waren.

Doch heute hatte Naeco Glück. Er musste gestern ein gutes Händchen gehabt haben, als er gestern Abend zu irgendeiner Sting-CD gegriffen hatte und nun eine chillige Popnummer mit Jazzeinflüssen aus den Boxen floss. Ja, es war eine coole Stimmung mit entspannter Musik und einem Lächeln auf den Lippen. Naecos Tag war gerettet.

Eher selten stellte er abends einen Radiosender ein, da er sich lieber ein wenig mit Musik am Abend zu beschäftigen, anstatt nachher den ganzen Tag über Musik aufzuregen. Naeco schnaufte ganz tief und betrachtete die Holzdecke seines Zimmers. Über all den vielen Ästen im Holz tummelten sich einige Fliegen, die seit dem Ende des Regens wieder vermehrt in Erscheinung traten. Naeco hatte sich gefreut, von ihnen für dieses Jahr Ruhe zu haben, was jedoch eine Fehleinschätzung war. Als die kleinen Viecher dann noch begannen zu ficken, wurde Naeco das ganze Treiben zu bunt und er konnte sich dazu überreden aufzustehen. Er ging ins Badezimmer, dort sah er in den Spiegel und erblickte darin einen Mann, den er nicht kannte.

Ja, er war alt geworden. Selbst wenn er rasiert und gepflegt in den Spiegel schaute, konnte dies nicht verdecken, dass ihm irgendetwas fehlte… Ja, Naeco wusste sogar sehr gut, was ihm fehlte. Man kann etwas so lange man will versuchen zu unterdrücken; ganz verschwindet es nie.

Und ausserdem hiess es in einem uralten Sprichwort: „Nur was man nie kannte, kann man auch nicht vermissen und vergessen.“ Leider kannte er das, was ihm fehlte viel zu gut, doch noch viel besser bekannt war ihm die jeweils darauffolgende Leere, die immer voll und ganz von ihm Besitz ergriff, wenn wieder einmal eine der Geschichten anders als geplant weitergeschrieben wurde. Gerade so, wie er es sich nie erwünscht hatte.

In seinen Augen spiegelte sich immer klarer heraus, was ihm fehlte und dass er nicht mehr sehr viel länger ohne es auskommen konnte. Es war Liebe, die ihm fehlte. Klar liebte ihn seine Familie und umgekehrt auch. Doch, was will man jemandem erzählen, der schon alles über einem weiss?

Ja, mit diesem Satz konnte man vieles gut erklären und doch wollte Naeco mit niemandem darüber reden. Er führte diesen Kampf lieber mit sich selber aus. Es war schliesslich auch sein Problem und seine Mutter hätte auch sicher wieder ein riesiges Theater daraus gemacht, was er dann aber wirklich am wenigsten brauchte. Naeco machte sich keine grossen Gedanken, als er wie gewohnt kurz seinen PC anschmiss, um die neusten Mails abzuchecken. Eigentlich war Naeco ja kein Technikfetischist und doch hatte er so gewisse Gewohnheiten, vor allem im Winter, da er im Sommer eigentlich 80% seiner Zeit in der Natur verbrachte und so erst gar keine Möglichkeit zu übermässigem Elektrokonsum hatte.

Wie gewöhnlich ging alles relativ rasch, die Seite stand offen. Vier noch nicht gelesene Mails. Eines eine Rechnung für eine CD, die er vor ein paar Wochen bestellt hatte. Zwei Junkmails, welche sofort gelöscht wurden. Eines von einer Mailadresse, die ihm nicht bekannt vorkam. Diese Mail öffnete er und begann sie zu lesen. Naeco wurde es gleich ein wenig mulmig, denn in der Nachricht stand:

„Hallo Naeco! Ich hoffe, dies hier ist nicht schockierend für dich. Mein Name ist Angelina, ich bin 23 Jahre alt und würde gerne mehr von dir erfahren. Du fragst dich sicher gleich, wieso ich dich schon, du mich aber nicht kennst. Es ist relativ einfach zu erklären: Ich arbeite in dem Bistro am Bahnhof und hatte letztes Mal, als ich den Müll wegräumen musste, plötzlich einen Zettel in der Hand, auf welchem ein herzergreifendes Gedicht geschrieben war, das oben am Blatt deinen Namen trug. Das Gedicht hatte den Titel „Der Rand der Welt“ und ist etwas vom schönstem, was ich bisher jemals in meinen Händen hatte. Ich war so tief beeindruckt, dass ich einfach in Erfahrung bringen musste, wer dieser kleine Poet ist und was er so den ganzen Tag lang macht, neben dem Gedichte schreiben. Und warum um Himmelswillen wandert so ein geniales Gedicht in den Müll. Entschuldige, dass mein Mail so lange geworden ist, aber ich schreibe eben recht gerne. Ich hoffe, ich erhalte von dir eine Antwort, denn es war nicht sehr einfach deine Mailadresse herauszukriegen… bis bald und alles Liebe Angelina“