Ein Beitrag von Dr. Thorsten Merkle in der HTW-Blog-Reihe.
Die Schweiz verfügt über eine hervorragende Infrastruktur im Bereich des öffentlichen Verkehrs. Jede Milchkanne verfügt über einen ÖV-Anschluss, scherzt man (nicht ohne Neid) jenseits der Grenzen mit Blick auf die Schweiz. Der öffentliche Buslinienverkehr ist dabei bisher als Zubringer zu den Bahnlinien konzipiert, Fernstrecken legt man hierzulande effizient und schnell im Zug zurück. So erstaunt es wenig, dass es (bisher) kein Fernbusliniennetz in der Schweiz gibt. Längere Linienbusstrecken gibt es lediglich dort, wo keine entsprechende Bahninfrastruktur vorhanden ist; so zum Beispiel die Postauto-Linien über den Grimsel-, Simplon- oder San Bernardino-Pass.
Anders das Bild im Ausland: Ganz Europa ist durchzogen von Fernbuslinien, die teils im Taktfahrplan bedient werden. Als klassisches Transitland erlebt die Schweiz in den letzten Jahren das Wachstum internationaler Fernbus-Linien, es hat sich neben Zürich auch Chur in den Netzplänen etablieren können. Auch die Zielgruppen wurden erweitert: Neben preisbewussten Freizeitreisenden nutzen mittlerweile auch Geschäftsreisende und –pendler das Angebot.
Grosse Aufmerksamkeit hat die Aufnahme der Route München – Chur – Mailand durch den IC – Bus der Deutschen Bahn vor wenigen Wochen im Kanton Graubünden erfahren. Die Route wird vom Anbieter Flixbus zwar schon bedient, aber nun gesellt sich ein weiterer mit der DB-Tochter ein weiterer hinzu. Konkurrenz belebt das Geschäft, so scheint es. Graubünden profitiert, mit der Verbindung wächst der Kanton noch näher an den internationalen Flughafen in Mailand heran, auch wenn dieser (noch) nicht direkt angesteuert wird.
Von einer Linienbus-Anbindung Graubündens und seinen touristischen Highlights an den Rest der Schweiz ist man jedoch noch weit entfernt: Das in der Schweiz herrschende Kabotage-Verbot verbietet es den ausländischen Linienbus-Anbietern nämlich, Passagiere auf Inlandsstrecken zu befördern. Auf der Strecke München-Chur-Mailand ist also ein Transport von München nach Chur oder von Chur nach Mailand erlaubt. Das Teilstück Zürich-Chur hingegen darf nach geltendem Recht von ausländischen Anbietern nicht angeboten werden. Dieses Prinzip führt zu teils recht kreativen Lösungsansätzen, wie das Beispiel der Fernbuslinie Zürich-Basel zeigt. Die Ziel-Haltestelle befindet sich auf der französischen Seite des Basler Euro-Airports, und somit handelt es sich de jure um eine (erlaubte) internationale Beförderung.
Nun hat ein Schweizer Anbieter die Genehmigung von inländischen Fernbusstrecken beantragt, so zum Beispiel St. Gallen – Genf oder Brig – Basel. Das Bundesamt für Verkehr prüft derzeit ob die Genehmigungen erteilt werden sollen. Bei den schienengebundenen Anbietern wird (nachvollziehbarerweise) gegen die neue Konkurrenz argumentiert und entsprechende Lobbyarbeit betrieben. Aus Sicht der Nachfrager hingegen wäre das neue Angebot auf jeden Fall zu begrüssen. Liberalisierung und steigender Wettbewerb führen in der Regel zu Innovationsdruck und in der Folge einem entsprechenden Kundenvorteil. Auch wenn die Kapazität einer Buslinie wie zum Beispiel St. Gallen – Genf nur einem winzigen Bruchteil der bei der Bahn vorhandenen Kapazität entspricht, wird es doch Kundensegmente geben, die längere Fahrtzeiten zu Gunsten günstigerer Preise in Kauf nehmen werden. Es ist dann in der Folge auch davon auszugehen dass die SBB ihr Preissystem weiter flexibilisieren und zum Beispiel zu Randzeiten grössere Kontingente an Sparpreisen freigeben.
Ob Fernbusanbieter Strecken parallel zu Bahn nachhaltig betreiben können, wird sich zeigen müssen. Aus Sicht der Kunden wäre es jedoch Fall begrüssenswert wenn die beantragten neuen Strecken genehmigt werden. Bei der Gelegenheit sollte auch das (in der Praxis ohnehin häufig recht kreativ untergangene) Kabotageverbot aufgegeben werden.
Dr. Thorsten Merkle leitet an der HTW Chur den Bachelor-Studiengang Tourismus.