Wissenstransfer im Study Group Programm der FIS
Während gut einer Woche begleiteten Barbara Haller Rupf und LUO Shengqian (Alex, Gastforscher der Shanghai University of Engineering Science SUES) die beiden offiziellen chinesischen Delegationen aus Beijing und Zhangjiakou an der Ski-Weltmeisterschaften in St. Moritz. Dabei übersetzten und erklärten sie nicht nur während dem offiziellen Study Group – Programm sondern organisierten weitgehend die Aufenthalte und das Zusatzprogramm und begleiteten die zwölf Chinesinnen und Chinesen auf Schritt und Tritt.
Von Professor Barbara Haller Rupf
Ein Study Group – Programm gehört zu Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen wie die Medaillenzeremonie und ist eine Auflage der FIS an die lokalen Organisatoren. Das heisst, diese müssen Delegationen der nächsten Durchführungsorte einladen und einen Blick hinter die Kulissen und in die Bücher gewähren. So wird sichergestellt, dass das aufgebaute Know-how von Anlass zu Anlass weitergegeben wird. Während dreimal zwei Stunden konnten die Vertreterinnen und Vertreter von Are, Seefeld, Cortina d’Ampezzo, Vail u.a. sowie Beijing (Olympische Winterspiele 2022) und Zhangjiakou (Freestyle WM 2021) das Medienzentrum, das Zielgelände, den Kulmpark (wo die Medaillen und Konzerte gegeben wurden), das Sicherheitszentrum und das Empfangs- und Akkreditierungszentrum besuchen und zwischen diesen Terminen weitere Eindrücke der WM gewinnen.
Für erfahrene Durchführungsorte von Wintersportgrossanlässen, zu denen auch St. Moritz zählt, genügen dieser stundenweisen Updates und die grosse Chance, während den Meisterschaften das Netzwerk zu pflegen und auszubauen. Die chinesischen Verantwortlichen, die zum ersten Mal als offizielle FIS-Delegationen an Weltmeisterschaften teilnahmen, brauchten jedoch eine intensive Betreuung, dies war der FIS wie den lokalen Organisatoren bereits vor der WM bewusst.
WM-Einsatz der HTW Chur aus der Sicht von LUO Shengqian (Alex, Gastforscher SUES):
Fragen der Delegationen mit kulturbedingtem Hintergrund
Während ihres Aufenthalts nutzten die beiden Delegationen jede Gelegenheit, um Fragen zu stellen und alles Gesehene und Gehörte per Mobile zu speichern. Jedes Detail wurde fotografiert und kommentiert, dabei zeigen viele der Fragen die grosse Know-how und Kulturdifferenz auf:
· «Finden die Abfahrtsrennen Indoor oder Outdoor statt?» In China ist das Wissen über alpine Skiwettbewerbe noch kaum vorhanden, eine riesige Wissenslücke muss in den kommenden Jahren geschlossen werden.
· «Warum sind hier so viele verschiedene Kräfte wie Kantonspolizei, Zivilschutz, Militär, private Sicherheitsfirmen und Voluntaris für die Sicherheit und den Verkehrsfluss verantwortlich?» Im Gegensatz zu St. Moritz verfügt China über ein riesiges Polizeicorps, welches wohl als einzige Sicherheitskraft eingesetzt wird.
· «Woher nehmt ihr die vielen Voluntaris, wie sind diese angestellt?» Mit Einkommen von ca. einem Sechstel der Schweiz, keiner Altersvericherung und maximal zwei Ferienwochen pro Jahr gibt es in China keine Kultur der öffentlichen Freiwilligenarbeit. Dass die Voluntaris ohne eigentlichen Arbeitsvertrag und vor allem ohne Bezahlung um ein Engagement bei den WM-Organisatoren Schlange stehen, beeindruckte die chinesischen Gäste sehr.
· «Woher habe ihr mehr als 500 Voluntaris, die so gut Ski fahren, dass sie auf der Rennpiste arbeiten können?» Skifahren ist in China ein neuer Luxussport, der vor allem von wohlhabenden Personen ausgeübt wird. Das skifahrerische Niveau in China ist im Vergleich mit Europa und anderen «alten» Skinationen sehr bescheiden. Ob China bis in fünf Jahren eigene Pistenarbeiter hat oder diese aus «aller Welt» rekrutieren wird, bleibt abzuwarten. Eine Lösung gibt es sicher.
Kaum zu glauben für die chinesischen Delegationen war:
· dass die WM-Organisation aus nur 40 Festangestellten bestand und alle übrigen Personen Voluntaris oder Militär- respektive Zivildienstleitende waren.
· dass letztere der WM in Rechnung gestellt werden und bei den Sachkosten im Budget wieder auftauchen.
· dass die Abfahrer/innen mit mehr als 100 km/h unterwegs sind.
· dass Helikopter von privaten Firmen betrieben werden und so vielseitig (Transport, Rettung, TV-Bilder, Rundflüge) verwendet werden.
Tief beeindruckt waren die Delegationen von der ganzen Organisation, die in den Augen der chinesischen Gäste mit unglaublich wenig Personal und Finanzen auskommt. Bei der Präsentation zu Abfallmanagement und Nachhaltigkeit konnten wir den Referenten ob all der Fragen kaum in die Mittagspause entlassen. Auch die Idee des Nachwuchs-OK zur Knowhow-sicherung wurde notiert.
Übersetzen – sprachliche und kulturelle Brücken bauen
Um den zum Grossteil nicht (gut) englisch sprechenden Delegationen möglichst viel vom vermittelten Wissen zugänglich zu machen, arbeiteten Luo und Haller als Tandem; Barbara Haller Rupf, die ehemalige Skilehrerin und «Heimwehengadinerin» konnte viel Hintergrundwissen einbringen, Luo übersetzte und baute die kulturellen Brücken, indem er Informationen so weitergab, dass sie von den chinesischen Vertreter/innen verstanden wurden.
Ziele der Skiweltmeisterschaften für die Destination Engadin St. Moritz
Weltmeisterschaften sind wertvolle Kommunikationsplattformen für touristische Destinationen, insbesondere wenn alles wie am Schnürchen läuft und stimmungsvolle Bilder mit blauem Himmel, Bergen und Schnee in alle Welt gesendet werden.
Für St. Moritz ist China ein wichtiger Zukunftsmarkt, künftig sollen chinesische Gäste hier auch verweilen. Die Präsenz des staatlichen TV-Senders CCTV war deshalb für St. Moritz ebenso wichtig wie die positiven WeChat-Posts der Delegation von Beijing 2022. Ariane Ehrat, CEO der Destination Engadin St. Moritz liess es sich nicht nehmen, die Gäste persönlich zu begrüssen.
Rolle der HTW Chur
Bei den Skiweltmeisterschaften in St. Moritz ging es der HTW Chur in erster Linie darum, als kantonale Hochschule mit Tourismusausbildungen direkt mit den Weltmeisterschafts- und Destinationsverantwortlichen zusammen zu arbeiten und einen Beitrag zum Gelingen des Anlasses beizutragen.
Die HTW Chur engagiert sich in verschiedenen Forschungsprojekten um die China-Kompetenz für die Bündner Destinationen zu fördern und last but not least besteht mit der Shanghai University of Engineering Science SUES eine Partnerschaft mit einem Joint Programm in der Ausbildung von künftigen Tourismusfachpersonen.
Prof. Barbara Haller Rupf ist verantwortlich für den Aufbau und die Leitung der Weiterbildungsstudiengänge im Bereich Tourismus. Dazu unterrichtet sie im Bachelor-Studiengang Tourismus und betreut ihren Forschungsschwerpunkt zum Thema Internationaler Tourismus & Wintersport.
Dies ist ein Blog-Beitrag der HTW Chur.