Bündner Perlen: «Hades – L’Ovra» (2004) Teil 2

Hin und wieder gibt es Platten aus Graubünden, die nie eine grosse Medienaufmerksamkeit erhalten haben oder vielleicht schon in Vergessenheit geraten sind. Dieses neue Gefäss, exklusiv auf GRHeute, wühlt durch alte LP-Kisten, entstaubt CD-Sammlungen und widmet grossen Werken eine kurze, aber ausführliche Plattenkritik mit einem gehörigen Schuss Nostalgie. Einerseits zur Erinnerung, anderseits zur Aufstockung jeder Tonträgersammlung, aber vor allem um aufzuzeigen, welch vielfältige Bündner Musikszene wir doch haben.

Diese Perlen dürfen in keiner kompletten Bündner Musiksammlung fehlen. Willkommen zu den Bündner Perlen.

Bis vor kurzem war mir die Pionierleistung der Disentiser Band Hades nicht bewusst. Ist natürlich auch schwierig, weil schon ein wenig Zeit vergangen ist. Nun merke ich sogar noch, dass ich einen von denen kenne: Cornelius Raeber. Doch zu ihm werde ich einmal in einer anderen Perle mächtig ausholen. Hades haben Rock in der Muttersprache Romanisch als erstes salonfähig gemacht. Ich ziehe nun meinen Hut, denn es ist kein Zufall, dass Hades nicht nur ähnlich klingen wie May Day, sie sind die May Days des Romanischen Rock. Wirklich schade, dass die Jungs und die Dame sich nach drei Alben aufgelöst haben, da wären sicherlich noch diverse interessante Platten drin gewesen. Was bleibt, ist der Dank einer ganzen Szene, die es vielleicht heute nicht in dieser Form geben würde. Interessante Fakten zu Hades findet ihr auch in der Dokumentation vom SRF über das Phänomen Rock Rumantsch.

Also stürzen wir uns wieder in das Potpourri aus Romanischen Liedern.

In um cun Pussonza
Hier kommt feinster Bluesrock, ziemlich groovig durch die Boxen geflogen. Die Synthies vermögen immer noch sehr zu gefallen. Gute Nummer.

Mintgin da nus
Der Schlagzeugrhytmus am Anfang beirrt ein wenig, doch er löst sich in eine lean-back-Ballade, die einem aufhorchen lässt. Vor allem wenn Sänger Elmar Deflorin sein Organ in höhere Gefilde empor hebt. Das sind Gänsehautmomente, die auch heute noch einfahren.

Nossa veta
Ich denke, das bedeutet Unser Leben. Es klingt wild und sprunghaft. Die jugendliche Freude am Rock ist heute noch zu spüren, auch wenn da schon ein paar Jahre auf dem Tonträger liegen. Zum Teil ein wenig Kilbyrock, aber recht cool.

Rumantsch grischun
Hier hat der Sänger fast ein wenig Mühe mit dem Text mitzukommen, was wahrscheinlich daran liegt, dass ein anderer den Text geschrieben hat. Wenn ich das richtig verstehe, machen sie sich hier ein wenig lächerlich über die Vereinheitlichung der Idiome. Falls es wirklich so ist, ziehe ich erneut den Hut. Denn dieses Thema ist auch heute noch nicht bei allen durch. Lustige Nummer mit viel Mitsingpotential.

Sper Via
Die CD wird abgeschlossen von einer Ballade, die wunderbar sanft noch mal alle Feinheiten der Band aufzeigt. Exzellenter Abschluss der zweiten CD. War eine tolle Reise.

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Angelina ed autras (1992)

Paupra Svizra
Flüchtlingspolitik und Sozialkritik, das Thema, welches leider immer eine grosse Aktualität innehat. Treibend umgesetzt, ein toller Start in die dritte CD. Hier singt die Dame auch endlich ein bisschen mehr als auf den Vorgängern.

Angelina
Ein kleines Liebeslied, das mich sehr an Ohni di von May Day erinnert. Lustigerweise kamen die beiden Lieder praktisch gleichzeitig raus. Nur wird ihres ein wenig süsser auf den Refrain als das von May Day. Cooler Rocksong.

Uss che ti eis ius
Oh, ein Riffmonster, das sofort hängen bleibt. Aber dann kommt die wunderschöne akustische Gitarre. Irgendwas mit Radio ist zu hören. Ich denke, die hatten auch die gleichen Probleme wie ich Air-Plays zu kriegen. Fühle ich voll, obwohl ich nicht wirklich viel vom Text verstehe.

Melli grius
Der Vorgänger hat mir ja schon sehr gut gefallen, der hier haut noch viel mehr rein. Geiler Scheiss.
Eine Stärke von Hades ist es, dass der Beat immer wahnsinnig nach vorne geht, was bei diesem Beispiel sehr anschaulich geschieht.

Cuolpa
Die Gitarre am Anfang klingt recht lustig. Der ist ein bisschen Up-Tempo-Pop mit eigener Note. Steht denen noch recht gut, zwischen den harten Riffs mal eine schmissige Popnummer zu platzieren. Cool.

Ti has aids
Oh ja, Geschlechtskrankheiten waren damals ja schon trauriger Alltag. Hier gibts Prävention, bevor die ganzen Kampagnen mit Love Life entstanden sind. Ich denke ab und zu, die Disentiser waren ihrer Zeit öfters weit voraus. Ein schöner Song mit verzauberter Akustikgitarre. Der kann was.

Real live
Sie werden doch nicht etwa noch? Oder doch? Ah nein, doch nicht. Zum Glück, der Track ist nicht komplett in Englisch gehalten. Auch hier halten sie die Fahne vom Rock Romontsch in die Höhe und rocken, so wie sie es eben am besten können.

Fors› in di
Eine gute Haudrauf-Nummer mit einer sehr sozialkritischen Aura. Interessantes Wechselspiel der Zwischenteile. Sehr abwechslungsreich und wie immer sehr rockig!

Senza tei
Der fängt ein wenig Schlager-mässig an, verwandelt sich dann aber in eine herzige Ballade, die sehr radiotauglich ist und spannend aufbaut. Der Refrain ist dann ein wenig rockiger, aber immer noch sehr poppig. Schön.

Na s’entardar
Rock’n’Roll, groovig, kräftig und laut, wie er eben sein muss. Gefällt mir doch sehr. Wie würde die Band echt heute klingen? Den hier würde ich nicht ungern mal live erleben.

Jeu sun unfis
Hey, zu dem gibt’s ein Video, dann lass ich euch mal selbst vom Track ein Bild machen.

Agonia
Yeah, nochmals eine coole Rocknummer. Die notiere ich mir mal auf ein Post-It-Zettelchen, damit ich weiss, welche ich immer wieder mal anhören kann. Eine ihrer Besten, wie ich finde.

Libertad
Und schon geht die CD langsam dem Ende zu, doch kein Grund leise oder langsam zu werden. Hier höre ich fast schon ein wenig Punkspirit. Yeah.

In esch serrau
Hier hört man sehr gut, wie die Leadstimme und die Stimme der Backingsängerin ideal harmonieren. Der macht Bock auf noch mehr Rock. Und da haben Hades gleich noch ein paar weitere Nummern draufgepackt. Hören wir da noch rein.

 

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Mo illusiuns? 1985
Hui, hier hört man den Altersunterschied zu den vorherigen Tracks. Er marschiert ziemlich straight durch die Boxen. Spannend, wenn auch mit den Vorgängern verglichen, ein wenig langweiliger. Doch mit klasse Refrain.

Val Cistallina 1987
Oh, den will ich samplen. Vor allem der Beginn. Was für ’ne fette Nummer. Die muss das Publikum bei den Konzerten jeweils zum Ausflippen gebracht haben.

Dorma bein 1988
Denn kenne ich noch vom Film. Sehr bissig und sozialkritisch. Auch wenn ich nur die Hälfte vom Text verstehe. Schlaf gut, du kranke Welt. Leider ist es heute nicht viel besser geworden mit der blauen, kranken Kugel.

Schlussfazit:
Es hat es noch nie gegeben, dass ich für eine Bündner Perle die komplette Diskografie einer Band durch gehört habe, und es war nicht mal so schlimm, wie ich es zuerst befürchtet hatte. Denn die Romanen schufen in den 80ern und frühen 90ern tolle Alben, die auch heute noch stellvertretend für die Pionierleistung der Band Hades als Denkmal in jede Bündner Sammlung gehören. Die Disentiser haben ziemlich gerockt, und das als Erste in Romanisch. Chapeau! Ich werde die Doppel-CD hüten wie meinen eigenen Augapfel, denn nur wenige der bisherigen Tonträger meiner CD-Sammlung haben eine solche Nachwirkung wie dieses Zeitdokument. Falls irgendwann mal der Zeitpunkt kommt und die Band eine Reunion startet, mich trefft ihr in der ersten Reihe an.