«Die falsche Medizin für die Bündner Krankheit»

Zum aktuellen Thema: Olympia 2026. Bei der Abstimmung vor drei Jahren zur Bündner Kandidatur 2022 legten Sie sich mächtig für das Nein-Lager ins Zeug und bodigten die Vorlage – gemeinsam mit Silva Semadeni – fast im Alleingang. Ich gehe davon aus, dass Ihnen der neue Olympia-Anlauf in Graubünden nicht wirklich gefällt, oder?

Ich war weder damals noch heute ein fundamentalistischer Gegner von Olympischen Spielen. Meine grosse Skepsis beruht auf der katastrophalen Glaubwürdigkeit des IOC, die nicht besser ist als bei der FIFA, und auf der unsäglich schlechten finanziellen und wirtschaftlichen Bilanz der Spiele in den letzten rund 60 Jahren. Bis jetzt habe ich mich beim neuen Anlauf zurückgehalten, weil ich das konkrete Konzept zuerst studieren wollte. Das habe ich jetzt gemacht – zumindest die dünne Botschaft der Regierung ist ja öffentlich – und habe so viele eklatanten Schwächen festgestellt, dass mein ‚Nein‘ im Grossen Rat und an der Urne sehr wahrscheinlich ist.

Ist das nicht ein bisschen gar einfach zu sagen: Ich traue dem IOC einfach nicht, darum bin ich dagegen?

Die Fakten sprechen einfach gegen das IOC und Olympia. Seit den 60er Jahren machten ausnahmslos alle Olympischen Spiele Defizite und es gibt weltweit keine einzige empirische Studie, die belegen kann, dass Olympia mittelfristig gut für die regionale Wirtschaft ist. Was hingegen nachgewiesen ist, sind Vetternwirtschaft, Korruption und Defizite für die Allgemeinheit. Die lokale Bevölkerung trägt die Kosten, das IOC und die Sportvermarkter streichen die Gewinne ein. Ich beobachte mit Sorge, wie sich unsere Bündner Wirtschafts- und Polit-Elite – quasi vom Olympia-Wahn befallen – weigert, diese Realitäten zu erkennen. Ich kann verstehen, warum die Bauwirtschaft für Olympia ist, da ist schliesslich viel Geld für sie drin. Warum aber bürgerliche Politiker dermassen unkritisch so viele öffentliche Gelder verprassen wollen, verstehe ich nicht.

Aber Sie müssen doch anerkennen, dass sich die Wirtschaftssituation seit der letzten Abstimmung sehr verschlechtert hat und Graubünden etwas machen muss?

Aber doch nicht Olympia! Die Verschlechterung der Wirtschaftssituation gegenüber 2013, die übrigens nicht alle Branchen betrifft, hat nichts zu tun mit unserem Image als Wintersportort, sondern in erster Linie mit dem starken Franken und der Stromschwemme. Da helfen die Spiele nichts. Olympia ist schlicht die falsche Medizin für die Bündner Krankheit. Und falsche Medizin schadet bekanntlich dem Patienten. Nützlich wären ein schneller Atomausstieg für die Rentabilisierung der Wasserkraft und ein neuer Franken-Mindestkurs für die Wettbewerbsfähigkeit des Exports, also auch des Tourismus. Zumindest den Atomausstieg könnten wir am Sonntag beschliessen.

Seit das IOC die Charta 2020 veröffentlichte, haben wieder viele Wintersport-Orte Lust auf die Olympischen Spiele. Schliesslich kann man sie seither dezentral durchführen und das operative Budget während den Spielen trägt neu das IOC. Das sind Kriterien, die Sie bei der letzten Abstimmung hart kritisierten und die sich im neuen Konzept sehr positiv für Kandidaten auswirken, oder?

Ich gebe zu, dass die Möglichkeit von dezentralen Spielen eine Verbesserung gegenüber der letzten Kandidatur ist. Deshalb wollte ich der Grundidee auch eine Chance geben. Aber die Absichtserklärung der Promotern reicht nicht. Die Stadt Zürich hat das Projekt abgelehnt und die Bündner Wirtschaft will zwar die Spiele, aber selber kein Geld investieren. Das zeigt ja schon, wie wenig sie selbst an Olympia als Geschäfts-Idee glaubt. Und beim Budget bin ich sicher, dass einfach die Kosten in das Nicht-Operative Budget verschoben werden. Das IOC macht sich sicher nicht das eigene Geschäft madig.

Nochmals zurück zur Charta 2020: Es ist doch ideologisch, diese wegzuwischen mit der einfachen Begründung, man traue dem IOC nicht.

Es ist nicht ideologisch, sondern realistisch. Es ist ganz einfach: Wenn die Charta etwas Handfestes wäre, dann wäre sie vom IOC nicht einstimmig durchgewunken worden. Reale Änderungen und Reformen stossen immer auf Widerstand. Auf der Charta steht ganz klar, dass es sich um Empfehlungen handelt. Für mich ist klar, dass dieses Papier keinen Schluck Wasser wert ist. Die Charta 2020 verändert den ‚Grund-Meccano‘ der Spiele nicht, der eben heisst: Kosten dem Steuerzahler, Gewinne für IOC und Sportvermarkter.

Unter welchen Umständen wäre für Sie eine Unterstützung von Olympischen Spielen in Graubünden denkbar?

Erstens müsste es vollständige Transparenz geben. Dass Graubünden so viel Geld für Konzepte zahlt – über 8000 Franken pro Seite – diese Papiere dann aber geheim bleiben, ist ein Skandal. Zweitens müsste sich die Wirtschaft an den Kandidaturkosten beteiligen. Dies würde dem Projekt Glaubwürdigkeit verschaffen. Drittens müssten die roten Linien gegenüber dem IOC klar definiert werden. Schliesslich wollen die Initianten Geld vom Steuerzahler, da muss die Öffentlichkeit wissen, ab welcher IOC-Forderung der Stecker gezogen wird. Und viertens wäre eine Kandidatur nur sinnvoll, wenn die Partner von Anfang an Bord sind. Die Stadt Zürich müsste sinnvollerweise Host City eines solchen Projekts sein, aber sie will ja nicht. Wahrscheinlich hat sie gute Gründe dafür – genau wie München, Hamburg, Stockholm, Oslo, Barcelona und zuletzt Rom.

Es ist doch so, dass Sie und die SP einfach aus Prinzip gegen Olympische Spiele in Graubünden sind und mit pauschalen Negativ-Aussagen Stimmung machen.

Das stimmt nicht. Ich bin nicht aus Prinzip dagegen. Sondern aus einer kritischen Abwägung. Hätte Zürich zugesagt, die Wirtschaft finanziell mitgemacht und wären klare rote Linien gegenüber dem IOC gezogen worden, könnte man ernsthaft darüber reden. Wobei das Grundübel natürlich bleibt: die IOC-Fremdbestimmung und das damit zusammenhängende Verlustgeschäft für die Allgemeinheit.

Sie sprechen die Wirtschaft an. Die SP hatte seit der letzten Abstimmung aber auch nicht wirklich effiziente Ideen, wie man der drohenden Finanzflaute im Kanton begegnen soll. Wie sehen Ihre Rezepte aus?

Graubündens Wirtschaft muss diversifiziert werden. Mehr High-Tech, mehr Industrie, mehr Forschung, mehr Bildung, mehr Kultur. Die Fokussierung auf den Wintertourismus ist unser Klumpenrisiko. Daher muss nicht nur die Wirtschaft als Ganzes diversifiziert werden, sondern auch der Tourismus. Mehr Sommer, mehr Gesundheit, mehr Kultur. Es ist absolut unverständlich, dass die gleiche Regierung, die Millionen für Olympia ausgeben will, die Kultur weiterhin an der kurzen Leine halten will und keine mutigen Bildungsinvestitionen lanciert. Wir haben im Kanton sehr viele kreative, intelligente, oft mehrsprachige Leute. Das ist ein enormes Humankapital. Dieses muss stärker gefördert werden. Darum nochmals: Mehr Bildung, mehr Forschung, mehr Kultur.

Sport ist ja auch Kultur. Und das Graubünden von heute basiert ja zu einem grossen Teil auf der Tradition und den Investitionen in die Sport-Infrastruktur der letzten 100 Jahre. Kein Gebiet weltweit hat heute das Know-how und die Sportanlagen wie Graubünden – Olympische Spiele wären doch Sport-Kulturförderung?

Ich bin absolut für Sportförderung und auch für sinnvolle Grossanlässe wie die Ski-WM. Kosten und Nutzen müssen aber in einem gesunden Verhältnis stehen. Bei Olympia war das in den letzten 60 Jahre nie der Fall.

Sie hatten bei der letzten Abstimmung prominente Unterstützung aus der Wirtschaft und dem Tourismus. Hamilton-Chef Andreas Wieland und Flims/Laax-Macher Reto Gurtner waren letztmals gegen Olympische Spiele, jetzt sind Sie dafür. Wie beurteilen Sie deren Meinungsumschwung?

Bei Reto Gurtner hat mich das nicht überrascht. Bei ihm ging es wohl nur darum, dass Flims/Laax letztmals nicht dabei war und diesmal schon. Bei Andreas Wieland war ich schon verblüfft, schliesslich hat er letztmals nicht nur das Konzept, sondern Olympische Spiele auch grundsätzlich kritisiert. Wahrscheinlich will er einfach zeigen, dass er das im Gegensatz zum Trachsel-Gilli-Gespann kann. Stark wäre es aber gewesen, wenn er die Bündner Wirtschaft dazu bewegt hätte, einen Teil der Kandidaturkosten zu tragen. Aber auch er hat letztlich das Steuergeld bei Vater Staat geholt. Es ist eine absolute Karikatur, dass die Kreise, die der SP immerzu vorwerfen, das Steuergeld zu locker auszugeben, ständig nach Steuergeld greifen, um ihre Prestigeprojekte zu finanzieren. Bei Andreas Wieland ist das noch spezieller, da er seine persönlichen Steuern in Lichtenstein bezahlt.

Die letzte Olympia-Abstimmung in Graubünden hat viele Gräben in der Bevölkerung aufgerissen. Wenn Sie zurückschauen: Wie schwierig war es damals allein auf weiter Flur gegen die bürgerliche Übermacht?

Ich bin an meine Grenzen gegangen, physisch und psychisch, wurde angefeindet wie noch nie, sehr oft anonym. Ich habe den Eindruck, dass die Begeisterung, das Engagement aber auch die Aggressivität der Befürworter diesmal kleiner ist. Aber wer weiss, die Kampagne startet ja erst noch. Wir sind ja auch erst in der vorparlamentarischen Phase. Im Vertrauen haben bürgerliche Politiker mir gegenüber auch schon grosse Zweifel geäussert. Aber sie müssten halt ‚Ja‘ zu Olympia sagen. Dass sich kein einziger Bürgerlicher kritisch zum Projekt äussert, zeigt für mich, dass es bei diesem Thema einen krassen Konformitätsdruck gibt. Graubünden und Olympia – da steckt einfach der Wurm drin.

 

Was Jon Pult von der bevorstehenden Abstimmung hält und wie er im Beruf mit einem Olympia-Mandat umginge, lesen Sie auf der nächsten Seite.