«Wir können über einen Rollstuhlspass lachen»

Dario Christen

Das Schicksal von Dario Christen, der an Ostern zum Tetraplegiker wurde, hat viele Menschen bewegt. Das Crowdfunding für sein neues Zuhause geht dieser Tage zu Ende. Wir haben mit Dario und Roger Christen gesprochen.

Dario und Roger Christen, ihr seid vor 100 Tagen raus aus der Anonymität in die Öffentlichkeit geworfen worden – wie waren die Erfahrungen? Gibt es schöne, gibt es schlimme Momente? 

Roger: Nach dem Start der Aktion und dem ungewollten Beitrag im «Blick» gab es ein paar kritische Kommentare, die mich persönlich doch etwas verunsichert haben. Ich habe meine Rechnungen immer selber bezahlen können und stand plötzlich irgendwie wie ein Bettler da. Zum Glück aber haben viele Leute die Aktion für eine super Idee gehalten und uns mit kleinen und grossen Beträgen unterstützt und uns gezeigt, dass sie Dario gerne helfen und ihm nur das Beste wünschen. Das hat auch mir wieder geholfen, die Hilfe von allen Seiten anzunehmen.

Wollt ihr jetzt wieder in die Anonymität zurück oder gibt es schon Filmangebote? 

Es sind noch einige Sachen am Laufen die über das Ende des Crowdfounding hinaus gehen werden. Aufführungen vom Clown- und Figurentheater «Tik Tak» von Marion Pfaffen im Januar 2017, deren Erlös an Dario gehen wird. Und ein Charity Event in Savognin im Februar 2017, der zu Gunsten von Dario durchgeführt wird. Danach, denken wir, sollten die öffentlichen Auftritte von Dario minimiert werden, damit er wieder ein Leben für sich führen kann. Ohne jegliche Auftritte und ohne Filmangebot aus Hollywood!

Wie geht es euch körperlich und seelisch?

Die drei Wochen, die Dario wegen eines Decubitus (offene Druckstelle) gezwungenermassen im Bett in Nottwil verbringen musste, waren wohl die härtesten meines Lebens. Dario und auch wir Eltern haben in der Zeit realisiert, dass es nicht nur ein Beinbruch ist und er in ein paar Wochen wieder zu Fuss nach Hause gehen kann, sondern dass er für immer im Rollstuhl sitzen wird. Viele Tränen und grosse Verzweiflung waren die Folgen und wir Eltern mussten hilflos zusehen, wie es Dario immer schlechter und schlechter ging. Dank der guten Betreuung in Nottwil und wohl auch wegen unserer Unterstützung hat er sich schlussendlich gefangen und ist in seinem neuen Leben angekommen. Von da an ging es stetig in kleinen und grösseren Schritten vorwärts in eine neue spannende Zukunft mit vielen Herausforderungen. Jetzt blicken Dario und wir nach vorne, verbringen die Wochenenden zusammen und können auch mal über einen Rollstuhlspass lachen. Dario ist sehr gut drauf und wir können die gemeinsame Zeit auch wieder vermehrt geniessen.

Bald zieht ihr um – sind die Kisten schon gepackt?

Die neue Wohnung ist leider später als erwartet bezugsbereit, erst am 12. Dezember. Die Vorbereitungen in der jetzigen Wohnung laufen aber auf vollen Touren und somit wird das Chaos von Tag zu Tag grösser und immer mehr Schachteln stehen im Weg. Der Umzug von sechs in drei Zimmer ist eine grosse Herausforderung und so muss wohl eine grosse Abfallmulde organisiert werden. Ausmisten schadet aber nie.

Dario, du bist jetzt 18. Hilft dir das diesbezüglich, als das du deinen Eltern auch mal sagen kannst: Hey ich bin jetzt 18, lasst mich noch mehr selber machen und entscheiden?

Dario: Das ist eigentlich nicht viel anders als vorher auch schon, ich habe meinen Kopf doch meistens durchgesetzt. Meine Eltern waren aber immer für mich da. Jetzt darf oder muss ich halt auch einmal ein Formular oder einen Antrag selber unterschreiben.

Ihr habt, wie ich auf 100-Tage-Net gesehen habe, auch andere Menschen inspiriert – ist das ein schöner Gedanke oder seht ihr solche Leute mehr als Trittbrettfahrer?

Roger: Wir hatten grosses Glück, dass uns Leute wie Claudine Züllig und viele andere so tatkräftig unterstützt und uns eine grosse Last abgenommen haben. Ohne deren Hilfe, sich um das Finanzielle zu kümmern, wüsste ich nicht was heute wäre. Die Möglichkeiten, die die sozialen Netzwerke bieten, sind in der heutigen Zeit enorm gross und vielfältig. Wenn man diese für einen guten Zweck einspannen kann, finde ich das super und ich denke auch andere Projekte verdienen die Unterstützung der Leute im Web. Ich hoffe, dass unser Beispiel auch vielen anderen Menschen helfen kann.

Ihr habt auch gespürt, dass andere Menschen, auch Unbekannte, zu sehr viel Unterstützung fähig sind – in eurem Fall jetzt vor allem finanziell. Wie wirkt sich das auf euer Leben aus? Spendet ihr jetzt mehr oder gar nicht oder helft ihr auch, wenn ihr nur seht, es geht jemandem schlecht? Wurdet ihr diesbezüglich sensibilisiert?

Ich für mich habe festgestellt, dass ich schneller und grosszügiger einem Spendenaufruf folge und diesen unterstütze. Es ist ja nicht die Grösse der Spende, sondern wie viele Leute das Ganze schlussendlich unterstützen.

Dario, deine Zeit in Nottwil ist bald zu Ende – mit was für Gefühlen schaust du zurück und vorwärts? Hast du neue Freunde gewonnen?

Dario: Ich freue mich darauf endlich nach Hause zu können, heraus aus dem Spital. Ganz weg ist das SPZ ja eh nicht, finden doch immer wieder Untersuchungen dort statt. Und auch verschiedene Operationen an Händen und Armen.

Roger, du arbeitest bald nicht mehr als Küchenchef im Schweizerhof, sondern im Büro. Weshalb? Was sind die Folgen – kochst du jetzt daheim mehr? 

Meine Entscheidung, dass ich nicht bis zur Pensionierung in der Küche arbeite, stand schon länger fest und wurde durch den Unfall von Dario nur schneller umgesetzt. Sicher ist es eine grosse Umstellung, aber auch eine spannende, neue Herausforderung. Meine Stärken liegen eh beim Organisieren und werden nun noch stärker gefordert durch die Büroarbeit. Ich freue mich darauf. Sicher wird es ein bisschen komisch sein am Silvesterabend das erste Mal seit fast 30 Jahren bei der Familie zuhause zu sein. Aber mal sehen, wie es kommt.

Wie stellt ihr euch euer Leben in der Wohnung vor? 

Roger: Wie unser neues Leben in der Wohnung aussieht, steht noch in den Sternen. Wir nehmen es wie es kommt und improvisieren dann. Weihnachten sind wir zuhause und geniessen das Traditionelle „Chinoise“

Dario wollte ein Velo und ein Auto, um ein Stück Autonomie zurück zu bekommen – wie weit sind diese Pläne fortgeschritten?

Roger: Das Auto ist bestellt, wird ab Montag gebaut, danach in Nottwil umgebaut und für Dario angepasst, die Auslieferung ist noch unbekannt. Erste Fahrstunden hat Dario schon hinter sich, klappt schon ganz gut und nach dem Verkehrskundeuntericht im Januar sollte der Fahrprüfung nichts im Wege stehen.

Wer Dario auf seinem Weg in ein neues Leben unterstützen will, gehe bitte hier entlang: Ein Neustart für Dario. Es fehlen nur noch 30’000 Franken bis zum Ziel!

Darios Geschichte kann man hier nachlesen:

Ein neues Leben für Dario

Für Dario zählt jeder Rappen

Schon über 70’000 Franken für Dario

Dario braucht immer noch Hilfe

 

(Foto: Familie Züllig)