Letzthin musste ich recht spontan nach Zürich. Da praktisch kein Termin direkt am Hauptbahnhof abgemacht wird, war ich wieder mal ziemlich orientierungslos. Früher als ich in Zürich einfuhr, war das für mich die grosse Welt, heute fühle ich mich dabei, wie Sting in New York.
Mein inneres Navigationsgerät hat meist in Zürich keinen Akku mehr und die Leute rennen mich plump gesagt ständig über den Haufen. Obwohl ich Schweizer bin und irgendwie in Zürich doch recht gut zu Recht kommen sollte, merke ich immer wieder wie eine Stadt in diesem Ausmass einen Bergler oder wie es Sting eben genannt einen Alien wie mich einfach nur verschlingt. Wenn man in Zürich dann jemanden nach dem Weg fragen will, haben die Einheimischen oftmals keine Zeit. Zu gross ist der Druck der Gesellschaft, die kapitalistischen Verpflichtungen, Termine und und und. In diesem Fall hat mir eine ältere Dame netterweise den Weg erklärt und hat mich sogar noch bis zur Bushaltestelle begleitet. Am Abend holte mich glücklicherweise meine Frau ab, da es mit dem Auto sehr viel einfacher war, dem Menschenwirrwarr namens Zürich zu entkommen.
Dieses Erlebnis warf in mir die Frage auf, wo ich in unserem Land überhaupt stehe, respektive was für mich Heimat bedeutet.
Als erstes kann ich mal sagen, dass ich es liebe in der Schweiz zu leben. Hier in unserer zivilisierten Welt fehlt es uns an nichts. Die Demokratie funktioniert und trotzdem ist es mir vielfach auch unwohl, ein Schweizer zu sein. Ich spreche von offenem Hass gegenüber Fremden, Futterneid, Missgunst und den Tücken eines Systems, bei der das Geld vor dem Menschen steht. Diese Gründe waren es auch, die mich Kuba derart lieben liessen. Für mich persönlich ist Geld kein wichtiger Aspekt im Leben. Man kann auch mit sehr wenig Geld gut auskommen und ich sage mir immer wieder das Liebe wichtiger als Geld ist. Weil Geld wandert von Hand zu Hand, wahre Liebe, verknüpft mit einer positiven Aura bleibt ein Leben lang bestehen. Es ist nicht immer einfach, die Welt in einem guten Licht zu sehen, doch auf jede gute Tat folgt eine gute Wendung. Das nennt sich Karma und ist seit Jahren mein treuster Begleiter.
Doch zurück zum Thema Heimat: Seit Jahren beschäftigt mich die Frage, was Heimat eigentlich bedeutet. Nun werde ich mich mal auf Spurensuche machen.
Ich wurde Ende der Achtziger in Schiers im wunderschönen Prättigau geboren. Ich wuchs unweit von Schiers im beschaulichen, 1163-Seelen-Dorf Jenaz auf. Es war immer ein wenig speziell, da meine Eltern Zugezogene waren. Wir sind ja keine Ausländer, aber ich fühlte mich in Jenaz mit meiner etwas eigenen Art oftmals falsch verstanden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich einen eigenen Kopf habe und immer für meine Ziele gekämpft habe. Durch die anderen Ansichten der Bewohner von Jenaz wurde ich zwangsläufig zum Aussenseiter, als weltoffener junger Spinner. Ich fühlte mich bald wie ein Tourist in dem Dorf meiner Jugend.
Ich muss hier noch ein wenig Ahnenforschung betreiben. Mein Grossvater René Busiger war ein Verdingkind, er wurde von einer Familie Imhof aus Seelisberg adoptiert. Mich hat Ahnenforschung mein ganzen Leben lang schon sehr interessiert, doch bei meinem Familienstammbaum ist es praktisch unmöglich Antworten auf Heimat zu finden, da es zurück gerechnet nach zwei Generationen schon wieder fertig ist. In meinem Pass steht somit ein anderer Name, als der den meine Familie eigentlich trug. Ausserdem stehen beim Bürgerort zwei Orte. Der erste, natürlich Seelisberg, der zweite Dietwil im Aargau. Das heisst ich bin, obwohl ich noch nie in Dietwil war, Doppelbürger innerhalb der Schweiz. Seelisberg ist ein echt schöner Flecken oberhalb des Rütlis. Im Seeli lernte ich schwimmen und meine viel zu früh verstorbene Grossmutter Rosmarie vergöttere ich bis heute. Als kleines Kind waren die unvergesslichen Momente mit meinen Grosseltern und der riesigen Verwandtschaft Heimat. Doch als meine heiss geliebte Grossmutter 1996 verstarb, gingen alle Verwandten in andere Richtung und das Heimatgefühl zerfiel in viele Bruchteile. Ich will jetzt nicht zu viel im Detail verweilen, aber ich empfand es als sehr traurig und schade. Wenn ich heute nach Seelisberg fahre, was ich viel zu selten tue, empfinde ich nur noch ein mit Nostalgie und Melancholie getränktes Gefühl dabei. Der Ort und die Erinnerungen sind wunderschön, doch ich fühle mich nicht mehr als Einheimischer, sondern als Tourist.
Jenaz und das Prättigau wurden mir schnell zu eng. Also ging ich nach Chur und saugte am Nippel der Churer Kulturszene. Erstmals fühlte ich mich willkommen mit meiner Musik und fand rasch Bandmitglieder und Freunde. Doch auch in Chur wurde ich nur für eine kurze Zeitspanne glücklich, nämlich wenn ich mit viel Herzblut für alle Sachen organisierte und gratis den Booker und Manager gab für die jeweiligen Bands. Sobald die Bands sich auflösten und ich ihnen nichts mehr brachte, wurde ich wie eine heisse Kartoffel von meinen «Freunden» fallen gelassen. So fand ich irgendwie nie komplett den Draht zu Chur und seinen Menschen. Ich liebe die Altstadt und es gab auch eine Handvoll Kollegen, die mir heute noch ein heimatliches Gefühl vermitteln, aber sonst fühle ich mich in Chur wie ein Tourist.
Wirklich gefallen hat es mir in Mont Pellier, auf den Malediven und sehr sogar auf Kuba. Doch wie es eben so ist, Ferien sind Ferien und Ferien gehen rasch vorbei. Selbst bei uns in der Schweiz sind Touristen sehr willkommen, jedoch wer gedenkt länger in unserem Land zu bleiben, stösst zwangsläufig auf Ablehnung. Ich sympathisiere mit den Jenischen, da sie ständig neue Plätze entdecken und sich das ganze Jahr wie Touristen fühlen können. Ach, das wäre ein Traum.
Heute wohne ich in Domat/Ems und kann nicht klagen. Es bietet eine Mischung aus Jenaz und Chur, ist jedoch auch noch zentral gelegen. Ems ist für mich mein sicherer Hafen, mein Rückzugsort und der Ort, an dem auch meine Liebste wohnt. Selbst wenn ich aktuell mehr im Zug unterwegs bin und mich auf gewissen Bahnhöfen, wie zum Beispiel dem St.Galler, fast ein wenig einheimisch fühle, ist es einfach nicht das Gleiche wie zu Hause.
Also kann ich abschliessend sagen, ich bin noch nicht voll und ganz in meiner Heimat angekommen. Was jedoch auch nicht schlimm ist, da ich das Leben als ewiger Tourist sehr geniesse. Ich musste mir auch eingestehen, dass für mich Heimat niemals abhängig von nur einem einzigen Ort ist. Heimat ist für mich dort, wo meine Freunde und die Familie sind, ich akzeptiert und angenommen bin, magische und verzauberte Musik und Literatur entsteht, auch ein gemeinsames Schweigen, mehr als tausend Worte sagt und ich das Gefühl habe, dass es ewig so perfekt bleiben wird, wie es im Moment ist.
Wo man geboren wird, ist Zufall. Doch wie man seine Heimat mitgestaltet, Schicksal.