Freiwilligenarbeit – das Sozialkapital der Zukunft?!

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der HTW-Blog-Reihe.

 

Die Freiwilligenarbeit prägt die Schweiz. Sie ist nicht nur tragende Säule des Politsystems, auch viele öffentliche Leistungen liessen sich kaum ohne das freiwillige Engagement von zahlreichen Privatpersonen aufrechterhalten. Die Zahlen sind eindrücklich: Rund 25% der Wohnbevölkerung über 15 Jahren ist in Vereinen freiwillig engagiert. Ausserhalb von Vereinen und Organisationen sind es 38%. Damit leisten Freiwillige mit jährlich 700 Mio. Stunden ein hohes Arbeitspensum, was 9% der geleisteten Erwerbszeit in der Schweiz entspricht.

Problematisch sind die jüngsten Entwicklungstendenzen: In den letzten zehn Jahren ist sowohl die formelle Freiwilligentätigkeit (v.a. die Vereinsarbeit) als auch die informelle (v.a. persönliche Hilfe- und Betreuungsleistungen) zurückgegangen. Besonders deutlich zeigt sich dies in der abnehmenden Bereitschaft, ein offizielles Amt zu übernehmen – sei es in der Politik, in Vereinen oder Kirchenorganisationen. Damit gerät das traditionelle Milizsystem unter Druck. Das Milizsystem muss sich daher den neuen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen anpassen. Nur dann ist die Freiwilligenarbeit von heute auch das Sozialkapital von morgen.

Nachwuchs tickt anders

Auffallend ist, dass 15- bis 34 Jährige sich weniger in konventionellen Formen der Freiwilligenarbeit beteiligen, sich aber mehr in der Online-Freiwilligenarbeit – z.B. Betreuung von Webseiten, Facebook-Gruppen und Diskussionsforen – engagieren. Die heutigen jungen Erwachsenen unterscheiden sich in ihrem freiwilligen Engagement deutlich von älteren Personen. Gemäss dem aktuellen Freiwilligen-Monitor 2016 steht für sie der persönliche Nutzen in der Freiwilligenarbeit stärker im Vordergrund. Sie gewichten Aspekte wie zusätzliche Qualifikation, Weiterbildung und persönlichen Bereicherungen höher (vgl. Abbildung 1). Allerdings: Auch für die 15- bis 34 Jährigen stehen altruistische Motive, wie zusammen mit anderen etwas bewegen oder anderen Menschen helfen, an erster Stelle. Junge Erwachsene sind folglich keineswegs ausgewachsene Egomanen und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht.

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(Quelle: Freiwilligen-Monitor 2016, Freitag et al.)

Sozialkapital der Zukunft mobilisieren

Wie muss sich die Freiwilligentätigkeit wandeln, um den veränderten Ansprüchen in Zukunft gerecht zu werden? In der Wissenschaft und Praxis werden verschiedene Ansätze (kontrovers) diskutiert. Der Freiwilligen-Monitor 2016 z.B. zeigt eine hohe Zustimmung zu Massnahmen, die einen flexibleren Arbeitseinsatz ermöglichen und die Mitsprache und Mitbestimmung erhöhen (vgl. Abbildung 2). Auch mangelt es heute an fachlicher Unterstützung. Eine höhere finanzielle Entschädigung allerdings findet wenig Zustimmung. Erstaunlich ist, dass ungeachtet des Alters die vorgeschlagenen Massnahmen (fast) einheitlich bewerten (hier nicht dargestellt).

massnahmen-attraktivitatssteigerung

Für die Mobilisierung von Freiwilligen sollten in Zukunft verstärkt die jungen Erwachsenen im Fokus stehen. Es braucht – analog zur Sportförderung – eine Nachwuchsförderung in der Freiwilligenarbeit. Für junge Erwachsene muss dabei freiwilliges Engagement den persönlichen Erfahrungshorizont erweitern, flexibel sein und sichtbarer werden. Dies bedingt auch, Verantwortung an sie zu übertragen. „Mittendrin, statt nur dabei“ muss die Losung heissen. Damit sichern wir das Sozialkapital der Zukunft. Zumindest ist es ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Infos

Veranstaltungshinweis: Benevol Graubünden zeichnet in Kooperation mit der HTW Chur am 3. Dezember 2016 Freiwillige und Vereine aus.

Autor: Dr. Curdin Derungs, Professor für Public Management, Zentrum für Verwaltungsmanagement, HTW Chur, beschäftigt sich mit dem Milizsystem der Schweiz, besonders in Zusammenhang mit Politik und Gemeindeführung. Er ist selbst in (Sport-)Vereinen und politisch aktiv.

Literatur: Markus Freitag, Anita Manatschal, Kathrin Ackermann, Maya Ackermann, Freiwilligen-Monitor Schweiz 2016, Seismo, Zürich