Text und Bilder: Dmitry Nikiforov
Die erste schweizerische Besonderheit, die mir auffiel, war, dass die Menschen in der Schweiz, wie die Deutschen, alles im voraus planen. Das freute mich natürlich sehr, weil es in anderen Partnerschulen nicht einmal einen Stundenplan gab und man immer alles nachfragen musste. Ich machte mir ein wenig Sorgen, weil ich kein EU-Bürger bin und deshalb ein Visum beantragen muss. Zunächst wendete ich mich an die Botschaft und dort wurde mir erklärt, welche Papiere ich benötige. Danach begann ich alle notwendigen Unterlagen zu sammeln.
Ich wurde mit einer Frau verbunden, eine Frau mit angenehmer Stimme: Frau Somerville vom International Office der HTW Chur. Sie verstand meine Situation und war immer bereit mir zu helfen. Schliesslich bekam ich mein Visum. In der Botschaft wurde mir nochmal erklärt, was ich in der Schweiz machen kann und darf, wo ich leben kann und so weiter … Ordnung, Ordnung und nochmal Ordnung. Alles muss genau sein, wie die schweizerische Uhr, habe ich damals gedacht.
Ich bin mit Swiss geflogen. Während dem Flug wird Schokolade verteilt und alle Leute nahmen wohlerzogen ein Stück pro Person. Ich wollte wissen was der Flugbegleiter machen würde, wenn ich um ein zweites Stück Schokolade bitten würde. Mir wurden tatsächlich zwei Stücke gegeben und ich freute mich natürlich wie ein kleines Kind darüber! Zum Vergleich: Bei Aeroflot Russian Airlines wird Schokolade nur in der Business-Class verteilt.
Ankunft in der Schweiz
Als ich in die Schweiz kam, erinnerte ich mich sofort an meinen ersten Besuch in Berlin. Ich erinnerte mich an die hellen Gefühle die man bekommt, wenn man etwas Neues findet oder erfährt. Berlin verbinde ich mit dem Freiheitsgeist. Als ich nach Zürich kam, fühlte ich Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Echtheit. Die Menschen hier lächeln nicht, weil es nötig ist oder sie es bei ihrer Arbeit so machen müssen, sondern weil sie es einfach so möchten. Ich war natürlich sehr überrascht, denn in Moskau oder in Berlin begegnet man sehr selten einem ohne Grund lächelnden Menschen. In Moskau werden sogar Prügel verteilt, wenn jemand einfach so lächelt, weil die Leute denken er sei ein Dummkopf…
Mir wurde das Transportsystem der Schweiz erklärt und ich fuhr nach Chur. In der Hochschule wurde mir geholfen eine Wohnung zu finden bzw. wurden mir einige Webseiten gezeigt, wo ich freie Zimmer mieten konnte. Ich verschickte etwa 15 Briefe und nur eine Person antwortete mir. Alle anderen hatten wahrscheinlich Angst, dass jetzt ein Russe kommen würde mit Vodka, Balalaika und einem Bär als Haustier. Mit meinem Zimmernachbar hatte ich Glück, sogar sehr viel Glück meiner Meinung nach. Wir verstanden uns sofort gut…auch ohne Vodka. Ich richtete mich ein und war für meinen ersten Studientag bereit.
Ich studiere Betriebsökonomie und deshalb waren alle meine Schwerpunktfächer in Ökonomie. In der Hochschule lächeln alle und helfen einander. Zu Beginn habe ich mich gefragt, ob die vielleicht etwas gekifft haben, aber nein, die Leute sind hier einfach so glücklich.
Mein erster Tag. Uns wurde alles erklärt und klargemacht. Alle Schweizer und Schweizerinnen sind sehr pünktlich und mögen es nicht, wenn jemand sich verspätet. Ausserdem achten sie sehr auf Ordnung. Aber natürlich sind wir nur Menschen und jeder kann manchmal zu spät kommen.
Ein paar Tage später wurden wir (die Austauschstudierenden) in die stadtbekannte Konditorei geführt, wo Schokolade gemacht wird. Alle hatten Freude daran und ich bin mir sicher, dass es nur wenige Leute gibt, die Schokolade nicht gern haben. Die Schweizer Schokolade gilt als eine der besten der Welt. Uns wurde erzählt, wie die Fabrik funktioniert und eingerichtet ist, woher die Produkte geliefert werden und was damit gemacht wird. Es war ein sehr interessanter Anlass. Wir durften sogar unsere eigene Schokolade machen und anschliessend mit grossem Vergnügen eine heisse Schokolade trinken.
Der Unterricht
Schokolade, das ist natürlich prima, aber das Studium begann. Ehrlich gesagt, war ich ein bisschen überrascht, wie hier unterrichtet wird. Ich kann zwischen verschiedenen Systemen in Russland, in Deutschland und hier in der Schweiz einen Vergleich ziehen.
Hier ist die erste und wichtigste Aufgabe der Professoren, andere zum Nachdenken bringen. Es ist nicht nur nötig, Theorie zu unterrichten oder wie man etwas macht sondern die Professoren „zwingen“ ihre Studierenden, selbst nachzudenken. Ich möchte über einige Fächer und Professoren erzählen, die einen tiefen Eindruck auf meine Weltanschauung im Allgemeinen und ins besonders einige Fragen hinterlassen haben.
Herr Dieth unterrichtet Jura und Ethik. Wahrscheinlich jeder, der irgendwann mal etwas mit Jura oder dem Gesetz im Allgemeinen zu tun hatte, ist der Meinung, dass das eines der langweiligsten Fächer ist. Aber falls dieses Fach mit Humor, Praxisbeispiele, Witze über Studierenden und Dozierenden unterrichtet wird (natürlich alles mit dem Jura-Bezug), dann kann man nicht nur tiefgründiges Wissen, warum das Gesetz in der Schweiz so wichtig ist oder worin die Gesetzgebung verschiedener Länder sich unterscheiden, sondern auch viel Spass beim Lernen bekommen. Ausserdem erfährt man mit solchen Beispielen viel über die Politik, verschiedene Personen und ihre Rolle oder wie Rechte verletzt werden könnten. Deswegen vergeht die Zeit sehr schnell.
Wir haben aktuelle Fragen besprochen und jede Frage erhielt objektive Antworten. Wir konnten sehr lange darüber diskutieren. Wenn man sich schlecht auf den Unterricht vorbereitete, war es ziemlich schwierig über die Themen zu diskutieren. War man jedoch gut vorbereitet, konnte man viel Interessantes und Neues erfahren, worüber man noch lange nachdenken kann. Für mich als Ausländer war es sehr interessant zu erfahren, was sich wie auf den geschichtlichen Werdegang der Schweiz auswirkte. Das war eines der interessantesten und lustigsten Fächer.
Herr Gartmann unterrichtet Psychologie. Das ist so ein Fach, in dem man sein Leben überdenken kann. Der Lehrer zwang uns Fragen an uns selbst zu stellen, eine Situation zu analysieren und hin und her zu denken, damit wir keine Fehler im Leben machen. Eine der besten und interessantesten Aufgaben hiess: «Wer muss zuerst gerettet werden?» mit anschliessender Diskussion, warum wir gerade diese Leute retten möchten und müssen. Nach jedem solchem Unterricht machte ich mir Gedanken und fühlte sogar, dass sich etwas in mir geändert hatte.
Der Unterschied ist gross
Während meiner Freizeit spazierte ich viel durch die Stadt und betrachte aufmerksam die Gesichter von den anderen. Es war immer sehr interessant andere Leute zu beobachten. Sie müssen mich richtig verstehen! In Moskau wohnen etwa 16 Millionen Menschen, in Berlin ca. drei Millionen und in Chur… nur 50 Tausend. Für mich ist Chur eine ziemlich kleine Stadt. Die ganze Schweiz ist etwa so gross wie zwei Mal Moskau. Deshalb ist es für mich kein Wunder, dass die Leute hier viel höflicher und netter sind als in den meisten europäischen Städten.
Vor meiner Abreise entschied mein Zimmernachbar, seinen Geburtstag in den Bergen zu feiern. Wir bestiegen den Calanda. Physisch und moralisch fiel es mir ziemlich schwer, auf den Berg zu wandern. Ehrlich gesagt, ich war nicht bereit dazu. Es war zwar schwierig, aber schlussendlich haben wir es geschafft.
Solche Reisen sind nur dank der Partnerschaft zwischen der SRH Berlin und der HTW Chur möglich. Ich hatte die Möglichkeit, viele Dinge in meinem Leben zu überdenken und zu verstehen. Freiheit beim Studium und von Meinungsäusserung lässt effektiv studieren und Ergebnisse erreichen.
Über den Autor: Dmitry Nikiforow, Betriebsökonomie-Austauschstudent der SRH Berlin, war vom Februar bis Juli 2016 an der HTW Chur. Dies ist ein Beitrag des Magazins Wissensplatz der HTW Chur.
(Bild: zVg.)