Es gibt als Tourismusdirektor einer grösseren Ferienregion einige Momente, welche bei einem Herzklopfen oder Gänsehaut erzeugen. Sei es im Zielraum eines Ski- oder Bike-Weltcups, wenn tausende von Zuschauern ihre Freude über gute Leistungen mit Lärm bestätigen, wenn im Zauberwald das Lichtspektakel sinnliche Momente erzeugt, wenn man Gelegenheit bekommt, „Stars“ hautnah persönlich zu treffen oder wenn ein Leistungsträger eine Neueröffnung vollzieht. Vergangene Woche hatte ich Hühnerhautmomente ganz anderer Art.
Die Geschichte beginnt vor 1 ½ Jahren in meinem Büro, als mich die Lehrerinnen der Gesamtschule Parpan – notabene 12 Kinder in 6 Klassen, unterrichtet in zwei Schulstuben – anfragte, ob ich denn Interesse hätte, ihren Schülern zu erläutern, was ein Tourismusdirektor den ganzen Tag mache. Sie hätten mit ihren Schülern das Thema Tourismus in diesem Jahr aufgenommen und bereits einiges über die Region Lenzerheide erfahren und auch einiges besucht. Gleichzeitig würden sie sich freuen, wenn die Kinder mir, dem höchsten Touristiker der Region, ihren «schönsten Tag» in der Region vorstellen dürften.
Solche Termine sind speziell, aber auch schön. Also setzte ich mich an einem Morgen in die Parpaner Schulstube (und es ist wirklich wie in einer Stube, gemütlich, warm und inspirierend) und erzählte den 1. – 6. Klässlern meinen Alltag. Im Anschluss dann zeigten mir die Schulkinder ihre Zeichnungen des «schönsten Tages in der Region Lenzerheide», verbunden mit einer persönlichen Präsentation. Es geht einem ganz Tief, wenn Erstklässler mit leiser Stimme erklären, warum Sie den Tag in der Biathlon Arena verbringen, oder ein frisch zugezogener, portugiesischer Junge in gebrochenem Deutsch erklärt, warum die Berge so faszinierend sind.
Aus diesem Erlebnis heraus beschlossen meine Mitarbeiterin und ich, diesen Ball aufzunehmen und dem Tourismusprojekt noch etwas mehr Inhalt zu geben. Wir produzierten nun aus den 12 gezeichneten Wandervorschlägen einen Familienreiseführer «Unterwegs mit Parpaner Schulkindern», welcher in einer Box mit laminierten Vorschlägen in allen Tourismusbüros und den Familien Willkommen Hotels und Ferienwohnungen zu kaufen ist. Die Kinder begleiteten den Produktionsprozess vom Layout über Fotografie bis zum Druck als Zusatzprojekt.
Und vergangene Woche nun war Vernissage im Garten des Schulhauses, mit Eltern, Grosseltern, Politik, Medien und den Schulkindern. Neben einer Präsentation ihres «schönsten Tages» genossen wir selbstgemachten Kuchen, Kaffee und Sirup. Lauter glücklicher Menschen die Stolz auf ihre Kinder, ihre Werke und die Ferienregion sind, ein Hühnerhautmoment!
Und was möchte ich nun damit sagen? Kinder sind die ehrlichsten Menschen auf dieser Welt. Ihre Meinung ist gradlinig, ehrlich und fokussiert auf das Erlebnis, das positive Erlebnis. Sie scheren sich nicht um Kleinigkeiten, sondern sehen das Ganze, sie sind begeisterungsfähig – auch wenn nur 80% des Erlebten gestimmt hat. Kinder nehmen vieles Wahr, was Eltern gar nicht mehr sehen und Eltern sehen vieles, was Kinder gar nicht interessiert. Und Kinder geben später das an ihre Kinder weiter, was die Eltern in den Rucksack des Lebens gepackt und immer wieder hervorgeholt haben. Lernen wir also von unseren Kindern, dass nicht immer «Alles» perfekt sein muss, sondern die Essenz des Erlebten die Kleinigkeiten überdeckt und lehren wir unsere Kinder, dass Tourismus in unserer Region «einfach so da ist» – man muss ihn nur leben, erleben, geniessen und entwickeln.
Bruno Fläcklin, Tourismusdirektor der Ferienregion Lenzerheide
Die Tourismus-total-Expertenrunde von GRHeute berichtet und kommentiert einmal wöchentlich über aktuelle Tourismusthemen für Graubünden. Unverblümt und direkt von der Front.