Ein Kommentar von alt-Regierungsrat Christoffel Brändli zur Bedeutung der Milchkuhinitiative für Graubünden.
Die bisherige Diskussion um die Milchkuhinitiative beschränkt sich auf die Drohungen, dass bei deren Annahme die Mittel für Bildung und die Landwirtschaft gekürzt werden müssen. Eine sachliche Diskussikon über deren Bedeutung für unsere Verkehrspolitik und insbesondere für die Rand- und Berggebiete findet leider nicht statt. In der Folge sollen einige Aspekte, die zur Annahme der Initiative aus Bündner Sicht sprechen, dargestellt werden.
Nein zu einer Verkehrspolitik, die nur auf die Nationalstrassen und die Agglomerationen ausgerichtet ist
In den letzten Jahren haben die Einnahmen aus den Treibstoffzöllen abgenommen. Der Grund liegt einerseits im technischen Fortschritt der Fahrzeuge, wobei dieser Trend aufgrund der Elektrifizierung der Fahrzeuge noch zunehmen wird. Zudem ist die Schweiz nicht mehr Anzugspunkt für den Tanktourismus, Nachbarländer, insbesondere Österreich, bieten heute Benzin günstiger als die Schweiz an. Dies hat dazu geführt, dass Einnahmen aus dem Tanktourismus in der Höhe von mehreren hundert Millionen Franken in den letzten Jahren weggebrochen sind.
Das von den Agglomerationen beherrschte Bundesparlament und der Bundesrat haben in dieser Situation reagiert: Die bescheideneren Mittel sollen prioritär für die Nationalstrassen und insbesondere für die Sanierung der Verkehrsverhältnisse im Bereich der Agglomerationen verwendet werden. Die Festlegung dieser Priorität wird mit den enormen Staukosten – man spricht von über einer Milliarde Franken jährlich! – begründet. Von einer landesweiten, gerechten Grunderschliessung hört man demgegenüber kaum noch etwas. Erstaunlich ist, dass sogar die Vertreter der Rand- und Berggebiete stillschweigend dieser Zielsetzung zustimmen.
Das Zückerchen für die Bündner: Umklassierung der Julierstrasse
Über eine Benzinpreiserhöhung von 4 Rappen bietet das Parlament als Entlastung an, verschiedene Hauptstrassen zu Nationalstrassen umzuklassieren, in Graubünden die Julierstrasse von Thusis bis Silvaplana. Das ist nichts Neues und im Grundsatz bereits im Jahre 2011 vom Bundesrat beschlossen worden. Interessant ist, dass die Bündner Regierung sich damals vorerst gegen diese Umklassierung wehrte und erst an einer von mir inszenierten Sitzung in Zürich mit Vertretern des ASTRA und einer Delegation der Bündner Regierung auf diesen Zug aufsprang. Leider wurde in der Folge zu wenig getan, um diese Umklassierung durchzusetzen und sie durch die Strecke Silvaplana bis zur Landesgrenze zu erweitern.
Es darf nun aber nicht übersehen werden, dass die Umklassierung dann einen grossen Nutzen bringt, wenn der Bund auch grössere Investitionen in diesen Strassenabschnitt tätigt. Dazu braucht es mehr Mittel. Eine Benzinpreiserhöhung ist dazu nicht der richtige Weg, weil sie den Tanktourismus fördert und deshalb im Endeffekt kaum mehr Mittel generiert. Wesentlich mehr Mittel für die Strassen gibt es im Moment nur mit Annahme der Milchkuhinitiative. Sie eröffnet auch die Chance einer Verlängerung der Julierstrasse-Umklassierung bis nach Castasegna, was für die wintersichere Verbingung des Oberengadins mit Italien und der Sanierung der Malojastrasse von zentraler Bedeutung wäre. Mit Annahme der Milchkuhinitiative rücken auch andere Umklassierungen in den Bereich des Möglichen.
Was will die Milchkuhinitiative?
Heute fliesst ein Teil der Einnahmen aus Treibstoffzöllen zur Finanzierung allgemeiner Aufgaben in die Bundeskasse. Mit der Initiative wird verlangt, dass diese von den Automobilisten erbrachten Mittel für die Verkehrsfinanzierung eingesetzt werden. Dazu würden in Zukunft rund 1,5 Milliarden Franken mehr zur Verfügung stehen.
Gemäss Initiativtext sollen die Mittel nicht einseitig für die Nationalstrassen und die Agglomerationen eingesetzt werden. Aus Sicht von Graubünden sind folgende Zweckbindungen, welche die Initiative vorsieht, von grosser Bedeutung:
- Beiträge an die Kosten für Hauptstrassen
- Beiträge an Schutzbauten gegen Naturgewalten
- Allgemeine Beiträge an die kantonalen Kosten für Strassen, die dem Motorfahrzeugverkehr geöffnet sind
Die Interessen Graubündens
Eine gute Verkehrserschliessung ist die Lebensader für eine längerfrisitige Besiedlung unseres weit verzweigten Bergkantons. Ohne gute Erreichbarkeit verlieren wir weiterhin an Wettbewerbsfähigkeit im zunehmend umkämpften Tourismusmarkt.
Ein Vergleich mit andern Tourismusregionen (Berner Oberland, Innerschweiz, Wallis, Südtirol, Tessin) zeigt, dass Graubünden in bezug auf die Erschliessungsqualität sowohl mit der Strasse wie auch mit der Bahn krass benachteiligt ist. Nur mit enormen Eigenleistungen (der Bündner muss 2-3 mal mehr an seine Strassen zahlen als andere Schweizer!) konnte in den letzten Jahren ein minimales Investitionsvolumen aufrecht erhalten werden. In Anbetracht der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten dürfte dies in Zukunft immer schwieriger werden.
Damit verbunden droht auch ein Einbruch im Tiefbaugewerbe. Nach dem massiven Einbruch im Energiebereich und im Bauhaupt- und Nebengewerbe wegen der Zweitwohnungsinitiative stehen zusätzlich viele Arbeitsplätze auf den Spiel. Das ist vor allem auch deshalb bedenklich, weil die Investitionsbereitschaft im Tourismus aufgrund mangelnder Perspektiven in den letzten Jahren vor sich hin dümpelt. Und dort, wo diese Investitionsbereitschaft noch besteht, wird sie mit komplizierten Verfahren und Einsprachen abgewürgt. Es erstaunt, dass unser Volkswirtschaftsdepartement hier nicht auf die Barrikaden steigt!
Kurz: Für Graubünden sind mehr Mittel für den Strassenbau und klare Zielsetzungen in Richtung einer flächendeckenden, wettbewerbsfähigen Grunderschliessung lebensnotwendig. Die Milchkhinittive öfnet den Weg dazu.
Schwache Gegenargumente
Nun wird gedroht, dass die Annahme der Milchkuhinitative Kürzungen bei der Landwirtschaft und der Bildung bedinge. Man droht einmal mehr, dort kürzen zu müssen, wo es am meisten weh tut. In gleicher Art drohte Bundesrat Leuenberger früher, die Lawinenverbauungen zu kürzen, wenn man in seinem Departement Einsparungen verlangte.
Analysiert man die Kürzungsdrohungen, so halten sie – wie früher – einer sachlichen Beurteilung nicht stand. Allein die Überschüsse in der Staatsrechnung der letzten Jahre übersteigen den hier zur Diskussion stehenden Betrag von 1,5 Milliarden Franken. Wie ist es erklärlich, dass Politiker, die behaupten, in der Staatsrechnung gebe es keinen Spielraum, zur gleichen Zeit jährlich 400 Millionen Franken Steuergeschenke an Grundstückspekulanten sprechen? Was unternehmen die gleichen Parlamentarier gegen den stets wachsenden Bundeshaushalt im Konsumbereich? Wann erkennt man endlich, dass unsere Zukunft von den Investitionen abhängig sind?
Graubünden braucht endlich zukunftsweisende Impulse!
Das wirtschaftliche Tief, dass wir gegenwärtig erleben, kann nur überwunden werden durch eine Investitionsoffensive. Dazu muss der Staat selbst mehr Investitionen tätigen und er muss insbesondere private Investitionen ermöglichen und erleichtern. Olympia kann ein Weg sein, die notwendige Aufbruchstimmung auszulösen. Viel anderes müsste aber unabhängig davon eingeleitet werden. Investitionen in die Grunderschliessung unseres Kantons, wie sie die Milchkuhinitiative ermöglichen wird, sind ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Mit Bären und Wölfen ist die Zukunft Graubündens nicht zu retten.
(Bild: Passhöhe Julierstrasse/Wikipedia)