Linas Blog: Lüt vu Graubünda

Lina Moser ist Bloggerin aus Grüsch und porträtiert in unregelmässigen Abständen «Lüt vu Graubünda». Dabei berichtet sie über einen Aspekt aus dem Leben eines oder einer «normalen» BündnerIn. Der Blog ist lose angelehnt an die populäre Webseite «Humans of New York».

 

Vögi, 45, Jenaz

«In der mexikanischen Hölle»

«Nach der Lehre hat es mich und meinen Kollegen aus dem Prättigau hinaus in die weite Welt gezogen. Unsere erste Station war Zürich, wo wir beim selben Unternehmen Arbeit und ein schnuckliges Haus an der Goldküste, umringt von Villen, gefunden haben. Es ging nicht lange, bis wir zu harten Drogen Zugang hatten. Ob Nachbarschaft oder Arbeit, es war halt da und wurde ausprobiert. Nach sechs Monaten haben wir uns entschieden, dass das genug Arbeit fürs erste gewesen sei und planten eine halbjährige Reise nach Südamerika. Nach dem letzten Zahltag gings los. In Mexiko angekommen ging es natürlich weiter mit dem Drogenkonsum. Ziemlich schnell hörten wir vom mexikanischen Pendant zu Goa in Indien. War ja klar, welches unser nächstes Reiseziel wurde. Als wir um zwei Uhr morgens da ankamen, war eine saucoole Strandparty in vollem Gange! Wir schmissen uns sogleich ins Getümmel und genossen die Party. Etwa drei Stunden lang. Dann gab es eine Razzia und mein Kollege und ich fanden uns im mexikanischen Gefängnis wieder. Der Veranstalter hat es irgendwie geschafft, den beiden neuen Schweizern und seiner Frau das Zeug unterzujubeln, aber selber kam er davon. Es war die Hölle! Das war‘s. Dachten wir uns. Lange Rede kurzer Sinn, einige Korruptionen und Verlegungen später kamen wir in ein kleineres und noch lausigeres Gefängnis. Hier hatte der Typ, der uns rein brachte, wieder Einfluss und so konnten wir uns nach drei Wochen endlich freikaufen! Günstig war das nicht. Es kostete uns all unsere Ersparnisse. Somit war ein Monat auch schon rum und wir waren pleite. Aber abgebrochen haben wir nicht! Wir haben noch einiges gesehen und erlebt. Nach ein paar Monaten kamen wir dann wieder zurück nach Zürich, wo wir bei unserem vorherigen Arbeitgeber direkt wieder Anstellung gefunden haben. Das Verlangen nach Drogen war bei mir aber bald stärker als der Drang zur Arbeit zu gehen, und so kam es, dass ich knapp ein Jahr auf dem Platzspitz verbrachte. Vieles ist mir nicht in Erinnerung geblieben. An eine Lady erinnere ich mich jedoch gerne. Sie war einer der Engel, die sich um die Leute ganz unten kümmerte. Sie sah mich an und meinte: «Das ist falsch! Du bist mit deinen zwanzig Jahren noch so jung, hast dein ganzes Leben noch vor dir!» In all meiner Gleichgültigkeit habe ich das irgendwie nicht vergessen. Eines Tages habe ich im Rausch mit meiner Mutter telefoniert. Sie sagte zu mir: «Bitte komm heim, ich habe etwas für dich!» Meine Mutter hatte eine Anstellung auf der Alp für mich organisiert. Da stand ich nun, zitternd, bleich, mit langen Haaren und trotzdem durfte ich mit auf die Alp, wo ich knallhart den kalten Entzug durchgezogen habe. Ich habe das durchgestanden, weil ich nicht alleine war. Es gab auch SIE auf der Alp. Sie hiess Christine, war Kälberhirtin, hat mich akzeptiert, mir sogar die Haare geschnitten und mir im richtigen Moment einen Chlapf gegeben, oder zwei. Oder drei. Mittlerweile ist dies eine halbe Ewigkeit her. Christine und ich haben geheiratet, wir leben ein normales Leben mit Arbeit, gesunden Kindern und lieben Leuten um uns herum. Diesen drei Frauen gehört bis an mein Lebensende ein besonderer Dank in meinem Herzen, denn sie haben mich nicht aufgegeben!»

 

(Bild: Lina Moser)