Marco und Gian-Luzi sitzen wieder mal am Stamm bei Frieda. Wildmannli ist auch da. So irgendwie.
Marco: Die Politik wird immer dreckiger. Hast du gesehen, jetzt hats den Beath Nay in Chur «gelupft». Geht heute ganz einfach: Irgendwo ein bösartiges Gerücht streuen, und schon ist die Karriere im Eimer.
Gian-Luzi: Schon verrückt. Das war der einzige der neuen Kandidaten, von dem ich schon mal gehört hab.
Marco: Jup. Jetzt ist der SVP-Chur-Kandidat futsch, die andern lachen sich ins Fäustchen und ein Greenhorn bekommt den hoch bezahlten Job und regiert die Stadt. Ist Politik nicht toll?
…
Gian-Luzi: Und, wer war’s denn jetzt?
Marco: War was?
Gian-Luzi: Wer das Gerücht gestreut hat?
Marco: Wer weiss das schon? Wird wohl nie rauskommen.
Gian-Luzi: Eine oder einer in Chur weiss es.
Marco: Oder zu viele verdächtigen zu viele.
Gian-Luzi: Unterschätzt du mal die Bündner Polizei nicht. Die haben was auf dem Kasten. Die lernen das. Deduktion nennt sich das. Und: Wer hats erfunden?
Marco: Ja, ja, ich weiss, dass du grad den Sherlock Holmes frisst. Zeig mal, was du schon gelernt hast.
Gian-Luzi: Also gut. 1. Frage: Wer profitiert am meisten davon, dass der Nay weg vom Fenster ist? In Frage kommen eigentlich nur drei. Die SP mit dem Giacomo, die BDP mit dem Tscholli oder die CVP mit dem Portwein. Das Motiv ist bei allen da.
Marco: Oder die SVP Chur selbst. Die darfst du nicht vergessen. Jemand wird schliesslich den Platz von Nay einnehmen, oder?
Gian-Luzi: Hmm, stimmt, es gibt da glaubs schon einige, die gern zum Handkuss kämen. Ok, 2. Frage: Wer könnte etwas gegen den Nay haben? Er wäre als Kandidat Favorit gewesen. Dazu kommt, dass SP, BDP und CVP nicht gerade Fans der SVP sind. Folgerung: Das grösste Motiv haben SP, CVP und BDP.
Marco: Stadtratswahlen sind Personenwahlen, Luzi.
Gian-Luzi: Ja, ja, klar. Ok, nächste Frage: Wer hätte bei einer Nichtwahl am meisten zu verlieren?
Marco: Sicher die SP, schliesslich muss sie ihren Sitz verteidigen. Ihr Kandidat ist so unbekannt, dass sie schon letztes Jahr eine Plakatkampagne fahren mussten. Und gegen die SVP fährt sie ja auch gern mal harte Bandagen auf. Der würde ich so was zutrauen.
Gian-Luzi: Keine voreiligen Schlüsse, Marco. Deduktion, nicht Megafon! Die CVP ist auch nicht aus dem Schneider. Der CVP-Darbellay ist doch wohl der grösste SVP-Hasser im Land, oder?
Marco: Bleiben wir doch in Graubünden, Luzi.
Gian-Luzi: Also gut. Die CVP wars kaum, die glaubt ja eh nicht, dass sie eine Chance hat. Aber die BDP, die vielleicht. Die Alten kommen nie über den SVP-Rauswurf hinweg. Und: Sie brauchen bürgerliche Stimmen aus dem rechten Lager, wenn sie ihren Mann in die Stadtregierung bringen wollen. Hmm…
Marco: Oder eben die SVP selbst. Ein Heckenschütze aus den eigenen Reihen, das wäre doch möglich.
Gian-Luzi: Möglich wärs, aber ein anderer SVPler wirds in Chur schwer haben. Da müsste jemand vom Grössenwahn getrieben sein.
Marco: Also: Genug deduziert. Deine Schlüsse, Sherlock!
Gian-Luzi: Noch nicht ganz. Es gibt noch Variante 5. Und zwar, wenn was dran ist an den Gerüchten. Nur weil es nicht…
Marco: …ok, ok. Das wurde doch schon entkräftet.
Gian-Luzi: Ich will nur nichts ausschliessen.
Marco: In diesem Fall musst du aber auch andere Varianten zulassen. Vielleicht war’s seine Nachbarin, die einfach nur neidisch ist und mal eine blöde Bemerkung rausgelassen hat, die dann übers Buschtelefon zu einem Gerücht angewachsen ist.
Gian-Luzi: Stimmt. Vielleicht war es genau so. Die Illuminati.
..
Marco: Warum hat der Nay eigentlich hingeworfen? Die Chance auf einen Stadtratssitz kommt doch auch nicht jeden Tag. Eine Kandidatenfindungskommission muss doch diese Fragen stellen, oder? Was sagt dein Sherlockscher Instinkt nun?
Gian-Luzi: Deduktion, Marco, Deduktion. Meine Schlüsse: Zu 30% ist das Gerücht ein grosses Missverständnis. Zu 22% kommt es aus SP-Kreisen. Zu 20% aus der BDP. Zu 18% aus SVP-Kreisen selbst und zu 10% aus der CVP. Und zu weiteren 10% steckt etwas ganz anderes dahinter.
Marco: Das wären dann 110%, Luzi.
Gian-Luzi: Genau. Es ist zu 110% sicher, dass der Nay nicht in den Stadtrat gewählt wird.
Marco: Bravo, Sherlock. Ich bin beeindruckt.
Gian-Luzi: Deduktion, Marco, Deduktion.
Wildmannli träumt von Gross-Chur. Das wäre die Lösung. Stadtgrösse verdoppeln, Stadtrat verdoppeln – und alle könnten an der Party dabei sein.