Endlich wieder mal im Kino – und das zehn Tage vor den Oscar-Verleihungen. Ich wollte es genau wissen: Verdient Titanic-Posterboy Leonardo DiCaprio seinen ersten Oscar? Mit dem Film «The Revenant – der Rückkehrer» ist der 41-Jährige Ami auf jeden Fall ein heisser Kandidat, das begehrte Goldmännchen endlich ins Palmarès aufnehmen zu können.
Was taugt der Film? Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir haben schon einen besseren DiCaprio gesehen. Zum Beispiel vor 23 Jahren, als er einen geistig behinderten Jungen auf grandiose Art und Weise spielte. Oder in Frank Abagnales Spass «Catch Me If You Can», einer der Filme, den man sich immer wieder anschauen kann. Auch bei seinen Grosserfolgen in den letzten 15 Jahren – darunter Departed, Blood Diamond, Shutter Island, Inception oder The Wolf of Wall Street – lieferte diCaprio schauspielerische Glanzleistungen, die sich nicht hinter «The Revenant» zu verstecken brauchen.
Aber die Oscar-Verleihung ist ja auch immer ein Beauty-Contest. Und DiCaprio, als einer der erfolgreichsten und grössten Schauspieler seiner Generation, hat ihn sicher verdient. Nicht, dass man sich verbiegen müsste, um ihm die Statue dieses Jahr zuzugestehen. Aber der Film The Revenant ist ehrlich gesagt überzeugender als DiCaprios Schauspielkunst.
In der ersten Stunde hält Regisseur Alejandro G. Inarritu seinen Superstar betont im Hintergrund. Stattdessen sorgen schöne Bilder, verschiedene Charaktere der rauhen Gemeinschaft der Fell-Jäger in North Dakota vor 200 Jahren, ein wilder Indianer-Angriff, dazu spannungsvolle Schleicheinheiten in verschneiten Wäldern – die irgendwie an die Band-of-Brothers-Serie «Bastogne» erinnert – für einen stimmungsvollen Rahmen.
Und dann wird DiCaprio plötzlich ins Zentrum des Films katapultiert, und zwar auf brutalste Art und Weise. Ein Grizzly-Bär überrascht und attackiert DiCaprios Film-Charakter Hugh Glass auf bestialische Art und Weise – eine der fesselndsten, packendsten Filmszenen seit langem. DiCaprio überlebt schwer verletzt, wird aber von seiner Gruppe auf der Flucht vor den Indianern zurückgelassen.
Wie durch ein Wunder kommt er wieder auf die Beine und versucht sich in der Folge als Rambo des 19. Jahrhunderts. Die Ähnlichkeiten mit dem ersten Teil der Sylvester-Stallone-Saga sind tatsächlich auffällig: Statt sich eine tiefe Wunde selbst zuzunähen, brennt er einen Cut am Hals mit Feuer zu. Wie Rambo stürzt auch Glass eine riesige Felswand runter und wird durch die Äste eines mächtigen Baum vom sicheren Tod gerettet. Als Dank weidet er sein Pferd aus und verschwindet schnurstracks in den warmen Leib des Tieres. Dann wird der Spiess umgedreht und DiCaprio wird zum Jäger, bis er schliesslich seinen Erzfeind Fitzgerald – der seinen indianischen Halbblut-Sohn umgebracht hatte – am Film-Ende einer Reihe Indianer zum Skalpieren überlässt. Fast wie bei Rambo – First Blood.
Was bleibt von The Revenant? Ein sehenswerter Film mit starken Bildern und einigen ungemein fesselnden Szenen. DiCaprio spielt gut, wenn auch meist nur als schwer Leidender, der einen übermenschlichen Überlebenswillen an den Tag legt. The Revenant hat an den Oscar-Verleihungen sicher das Zeug zum Film des Jahres. DiCaprio kann ihn auch bekommen. Hätte er in den letzten 30 Jahren aber nicht eine derart eindrucksvolle Film-Historie aufzuweisen, dann würde er ihn auch dieses Jahr nicht in die Finger kriegen.
The Revenant läuft am Freitagabend noch einmal im Churer Kino.