Wilderei: Hohe Dunkelziffer, heimliche Sucht

Am Sonntagmorgen sind durch die Wildhut bei Fanas Eingeweide eines Hirsches gefunden worden. Das Tier wurde gewildert. Kein Einzelfall.

Die Wildhut fand die Eingeweide des Hirsches in einem Wiesenbächlein bei der Örtlichkeit Kapitelhof in Fanas. Nach ersten Erkenntnissen wurde das Tier in der Nacht auf Sonntag gewildert und vor Ort ausgeweidet. Anschliessend wurde es rund 300 Meter talwärts geschleift und mit einem Fahrzeug abtransportiert. Die Untersuchung der Eingeweide ergab, dass das Tier mit einer Schusswaffe erlegt wurde. Zusammen mit dem Amt für Jagd und Fischerei hat die Kantonspolizei Graubünden deshalb die Ermittlungen aufgenommen und sucht nach Zeugen, die zur Tat Aussagen machen können (Polizeiposten Schiers, Telefon 081 300 25 50).

Wild
Ausweideort und Schleifspur unterhalb Fanas.

Wilderei ist in Graubünden nicht unbekannt. Jagdinspektor Georg Brosi gab gestern gegenüber verschiedenen Medien zu verstehen, dass es immer wieder Fälle von Wilderei gäbe. Wie viele, ist unklar – eine offizielle Zahl gibt es nicht. Aus Jagdkreisen ist zu vernehmen, dass die Dunkelziffer hoch sei. In einem (allerdings älteren) Artikel in der NZZ meldete sich ein Wilderer zu Wort und sprach von mehreren Hundert Fällen im Jahr. Der Grossteil der Wilderei machten unerlaubte Abschüsse während der offiziellen Jagd aus. Allerdings gäbe es auch die regelmässig aktiven Wilderer, für diese sei es wie eine «heimliche Sucht», wie die Mutter eines Wilderers berichtete.

Gemäss dem Artikel ist eines der Motive – neben Geld und Trophäenjagd – eine «Auflehnung gegen die Obrigkeit». Sind also Wilderer heimliche Rebellen? Das Natur-Pendant zu Graffitti-Sprayern in der Grossstadt? So unwirklich ist der Vergleich nicht. Beides ist illegal, beides geschieht im Untergrund, oft nachts, beide geniessen in verschiedenen Kreisen versteckte Sympathien, bei beiden wird in der Szene dicht gehalten. Und beide werden bestraft, wenn sie geschnappt werden. Wilderern droht Gefängnis von bis zu drei Jahren, eine Geldstrafe und der Entzug des Jagdpatentes für ein bis zehn Jahre. In der Realität bleibt es allerdings meist bei einer Geldbusse.

Fast sicher ist, dass die heutigen Wilderer zu einem Grossteil einen Jagdschein besitzen. Schon vor zwei Jahren hatte ein Bündner Fall für nationales Aufsehen geweckt: Damals war in der Nähe von Tamins ein Jungwolf geschossen worden. Trotz eines Kopfgelds von 10’000 Franken der Gruppe Wolf Schweiz wurde der Schütze bis heute nicht ermittelt.

Die Aufgabe für die Wildhut, die Wilderer zu überführen, ist schwierig. Sich gut zu organisieren und vorzubereiten gehört offenbar zum Wilderer-Kodex: Oft in kleinen Gruppen unterwegs, ausgerüstet mit Nachtsichtgeräten und Schalldämpfern, werden Abschüsse schnell und zielgerichtet durchgeführt. Im Fall von Fanas wurde der Hirsch an Ort und Stelle ausgeweidet, was fachmännisches Geschick bedarf. Der Kadaver wurde dann rasch zu einem Fahrzeug gebracht und weggeführt – ein typisches Muster.

Berüchtigt ist in Graubünden die Wilderei vor allem auch im Grenzgebiet zu Italien. Sowohl im Nationalpark wie auch in Südbünden wurden in den letzten Jahren mehrere italienische Wilderer auf der Schweizer Seite der Grenze bei der «illegalen Jagd» erwischt.

 

(Bilder: Pixabay (Symbolbild)/Kapo Graubünden)