Bligg 2015

BLIGG ist im Leben angekommen

Marco Bliggensdorfer alias BLIGG, einer der grössten Stars des Schweizer Musikbusiness sorgt mit seinen Songs für Gänsehaut-Momente und zieht die Zuhörer mit seiner rauen, raumergreifenden Stimme in seinen Bann. Der 39-jährige Mundart-Musiker spricht im Interview mit GRHeute offen über seine Leidenschaft und die Musik, die Herausforderungen im Alltag, über Geschichten, die das Leben schreiben und erklärt, weshalb er sich besonders auf das Churer Publikum freut. 

Als einer der erfolgreichsten Schweizer Musik-Künstler mit über einer halben Million verkaufter Tonträger und etlichen Swiss Music Awards scheinst du so ziemlich alles erreicht zu haben. Wie fühlt sich das an?

Erfolg? Das ist ein sehr dehnbarer Begriff. Die ganze Erfolgsgeschichte ist so eine Sache. Für mich zeichnet sich der Erfolg nicht in Form von Preisen oder Verkaufszahlen ab. Erfolg bedeutet für mich, wenn ich meine Ideen, meine musikalischen Inspirationen im Studio so umsetzen kann, wie ich mir das vorgestellt habe. Und wenn man dieses Ziel erreicht hat, dann ist das ein unglaublich schönes und befriedigendes Gefühl. Ich glaube, das ist die Definition von Erfolg. Und seien es noch so kleine Ziele oder Meilensteine, die man sich im täglichen Leben steckt, sobald man diese erreicht, fühlt man sich bestärkt. Daher denke ich, dass man mit dem Begriff «Erfolg» sehr vorsichtig und mit Bedacht umgehen sollte.

Bligg, ein intensives, halbes Jahr lang hast du an deinem neuen Album gearbeitet, gleichzeitig durftest du dich auf deine neue Rolle als werdender Vater vorbereiten. Zwei sehr grosse Herausforderungen! 

Das «Vatersein» als solches hat mit der Karriere per se nichts zu tun. Aber dennoch, war diese Zeit unglaublich intensiv, denn auf beiden Seiten existiert ein gewisser Zeitdruck. Das erste Mal Vater zu werden, erzeugt einen ungeheuerlichen emotionalen Druck, denn man weiss ja nicht, was einen erwartet oder was die Zeit und die bevorstehende Geburt mit sich bringt. Und die beiden Ereignisse voneinander zu trennen und trotzdem die Energie aufbringen zu können, sich jeweils auf das Wesentliche zu konzentrieren, ist an und für sich schon eine riesen Herausforderung. Ja, diese Zeit war sehr herausfordernd. Aber rückblickend, sehr befriedigende und emotionale Monate.

Wer einen Blick hinter deine Fassade wirft, erkennt, weshalb dein neustes und gleichzeitig dein Jubiläums-Album «Instinkt» heisst. Du bist ein sehr gefühlvoller Mensch, unterstreichst deine Songs mit echten Emotionen und entscheidest häufig aus dem Bauch heraus. Können solche Instinkt-Bauchentscheidungen nicht auch gefährlich werden?

Klar! In erster Linie bin ich Künstler. Und ich wage zu behaupten, dass 99.9% aller Künstler sehr empathische Menschen sind. Das sind sehr emotionale Menschen. Menschen, die sich vielleicht den einen oder anderen Moment länger Gedanken über die Welt, das Geschehen oder um zwischenmenschliche Angelegenheiten machen. Hinzu kommt, dass mein Sternzeichen «Waage» besagt, dass dies zu meinem Wesen gehört. Das erklärt vielleicht – unabhängig von meiner Kunstfigur BLIGG – weshalb ich auch als Marco Bliggensdorfer ein sehr emotionaler Mensch bin, dem viel daran liegt, dass es den Menschen um mich herum und in meinem Umfeld gut geht. Diese Bandleader-Situation zum Beispiel gehört zu mir. Würde ich keine Musik machen, wäre ich wahrscheinlich der Teamleader einer Company. Ich bin gerne mit Leuten unterwegs, mit denen ich gemeinsame Ziele und Erfolge erreichen kann, die Sinn ergeben, motivieren und gleichzeitig Spass machen.

Was war nochmal deine Frage? (lacht) … das muss wohl der Röteli sein!

Nochmals zur Frage zurück: Können solche Bauchentscheidungen nicht auch letztlich zu Fehlentscheidungen führen?

Ach ja, wir waren ja beim Bauch-Thema, genau! Im Gegenteil! Ich bin der Überzeugung, dass Kopfentscheidungen – zumindest bei mir – im Endresultat viel mehr zu Fehlentscheidungen führen.

Dann gehörst du also nicht zu der Sorte «Stratege» oder «Planer»?

Doch schon! Ich bin Planer und Pragmat und alles zusammen. Aber ich habe in meinem Team Menschen um mich herum, die dort anknüpfen, wo ich schlussendlich anstehe. Deshalb harmonieren wir als Team und ergänzen uns in unseren Stärken. Aber das erklärt dann auch, weshalb mein Management ihren Job macht und ich meinen. Was dazu führt, dass alles letztendlich strukturiert ist und seine Ordnung hat.

Aber generell was Bauch- oder Kopfentscheidungen betrifft, bin ich der Meinung, dass eine Kombination aus beiden Eigenschaften von Vorteil ist. Die hohe Kunst ist es, abzuschätzen, wann ist eine Bauch- und wann eine Kopfentscheidung von Nöten. Logisch, benutze ich meinen Kopf für das Schreiben eines Songs, um die richtigen Reimendungen zu finden, oder ein Wortspiel daraus entstehen zu lassen. Aber das Grundgefühl, die Emotion und Thematik eines Songs kommt aus dem Bauch heraus. Und das zeichnet sich nicht nur über die Musik ab, dies ist doch generell im Leben so, oder nicht? Beispielsweise beim Sex: Wenn du dir darüber zu viele Gedanken machst, klappt das einfach nicht. So ist es! Wie war das nochmal mit den 5 Quickies?

Erzähl uns etwas über dein neues Album «Instinkt»! Wie gefällt es dir persönlich?

Sag du mir zuerst, wie es dir gefällt! (lächelt)

Nun, textlich: wie immer, nein besser! Sinnlich, teilweise sexy, nachdenklich, ergreifend, hingebungsvoll und leidenschaftlich. Ich brauche da manchmal so meine Zeit, bis ich jeden Song aufgesogen und gespürt habe. Für mich müssen die Message, die Melodie und die Rhymes als Gesamtpaket stimmen. Doch um ehrlich zu sein, finde ich «Instinkt» zum heutigen Zeitpunkt noch nicht dein bestes Werk. 

Wenn du einen Künstler, kurz nach dem Erscheinen seines neuen Albums danach fragst, ist es eine schwierige Frage. Zumindest mir, wie wahrscheinlich auch einem Grossteil meiner Kollegen, ergeht es so, dass mir die nötige Distanz dazu fehlt, eine subjektive Meinung zu äussern. Denn du hast am Ende des Tages einfach keine Lust mehr, deine eigenen Songs zu hören, mit denen du tagein, tagaus über sechs Monate deine Zeit verbracht hast. Wenn du mich aber in 10 Jahren nochmals danach fragst, kann ich dir vielleicht sagen ob «Instinkt» mein bestes Album war.

OK, dann rufst du mich in zehn Jahren einfach an und lässt es mich wissen. Meine Nummer hast du ja! 

(lächelt) Klar, genau so machen wir das. Vielleicht aber schon früher!

Was steckt hinter «Instinkt»? Welche Message willst du uns damit übermitteln?

Das Album als Ganzes hat keine Grundmessage. Sondern mir war es wichtig, einen Blumenstrauss, bestehend aus zwölf Songs zu kreieren, indem jeder Song eine Message nach Aussen trägt. Songs wie zum Beispiel der Vorbote dieses Albums «Lah sie redä» ist eine triumphierend angestimmte Hommage an die visionären Vor- und Andersdenker der Geschichte, oder «Füür i dä Venä», ist da eher etwas gesellschaftskritischer. Die Heimkehr in den Mikrokosmos der Familie und der Rückzug in sich selbst. «Supernova» hingegen ist ein astrologisches Sinnbild für Sex – eindeutig zweideutig. «Zwei Wörter, 1 Finger» bedeutet nichts anderes als «Fuck you», der an alle Deppen hier draussen gerichtet ist, von denen wir ja alle den einen oder anderen in unserer Gesellschaft kennen, weil sie einfach nicht auf der gleichen Wellenlänge wie wir surfen.

Daher hat jeder einzelne Song seine eigene textliche Farbe oder Thematik. «Instinkt» selbst hängt aber nicht an einem roten, thematischen Faden. Das war noch nie mein Stil. Obwohl ich natürlich auch schon musikalische Gesamtkonzepte, wie im Album «0816» mit traditionellen Instrumenten, erarbeitet habe.

Nachdenklich, gesellschaftskritisch, manchmal politisch angehaucht, tiefgründig und hie und da meinungsbildend – so sind deine Songs. Songs, wie sie kaum ein anderer Musiker in der Schweiz transportiert. Wie siehst du die Welt mit deinen Augen? 

Merci für dein Kompliment, wenn du sagst, ich sei einer der wenigen Schweizer Musiker, die gewisse Thematiken so tiefgründig und emotional zur Geltung bringen! Ich hoffe, es klingt jetzt nicht arrogant, aber in der objektiven Wahrnehmung sehe ich das schon gewissermassen so wie du. Logischerweise gibt es den einen oder anderen Künstler, der politisch sehr polarisiert im Sinne von «Für die SVP/Gegen die SVP». Aber das ist seit Jahren immer dasselbe Müsterli. Und ich bin in dieser Hinsicht halt eher der Typ, der global interessiert ist und sich mit Themen auseinandersetzt, die mehr Tiefgang, mehr Fleisch am Knochen haben. Klar habe ich in der Vergangenheit auch den einen oder anderen politischen Song veröffentlicht, der aber zu jener Zeit seine Berechtigung hatte.

Aber Musik ist so viel mehr. Musik ist ein Gefühl, eine Leidenschaft, die verbindet, die Brücken baut – auch über die Grenzen hinaus. Es gibt so viele Ebenen, auch zwischenmenschliche. Gedanken, worüber wir uns machen, über die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit, die informelle Reizüberflutung oder die körperliche und sexuelle Gewalt, die heutzutage über das Internet jedem zugänglich gemacht werden können. Ja, bei solchen Themen muss man sich doch wirklich fragen, wohin das in Zukunft führen wird? Das sind Themen, die mich beschäftigen, Themen, die mich zum Nachdenken bewegen. Die simple Frage: wie viel kann ein Mensch am Ende des Tages tragen?

Hand aufs Herz: Du bist viel unterwegs, verbringst deine Zeit oft im Studio, stehst für Interviews momentan ständig irgendwo zur Verfügung, jettest demnächst mit deiner Instinkt-Tour durch die Schweiz. Kommst du manchmal an deine emotionalen Grenzen und bedauerst, die Zeit nicht mit Lio verbringen zu können? Oder hast du gar Angst davor, wichtige Entwicklungsschritte zu verpassen?

Nein, kein bisschen! Wir leben hier in der Schweiz und egal, wo ich mich gerade befinde, wenn es sein muss, könnte ich innerhalb weniger Stunden zu Hause sein. Aber für einen Künstler ist diese Tatsache sowohl ein Fluch, als auch ein Segen. Der Fluch ist, dass die Schweiz wirklich ein sehr, sehr kleines Land ist und ich wage zu behaupten, dass es für 80% der Musiker hierzulande nicht zum Leben reicht. Egal, wie gut ihre Musik auch ist.

Das Positive aber ist, wenn du mal einen gewissen Erfolg mit deiner Arbeit erreicht hast, lassen dich die Leute hier auf der Strasse mehr oder weniger in Ruhe. Ein weiterer Vorteil ist die Überschaubarkeit. Wir müssen unsere Tour nicht in einem Zug durchführen. Wäre ich ein Act im Ausland, wären wir drei Monate am Stück unterwegs. Da muss man sich natürlich überlegen, nimmt man die Familie mit oder lässt man sie hie und da einfliegen. Doch wir touren hier in der Schweiz vorwiegend an den Wochenenden und die Zeit unter der Woche widme ich meinem Daily-Business und meiner Familie.

Und was wird die grösste, musikalische Herausforderung deiner bevorstehenden «Instinkt»-Jubiläumstour?

(Nach längerem Überlegen) Nun für uns und unser Label, DreamStar Entertainment, stellt die grösste Herausforderung die ganze Abwicklung vor, während und nach der Tour dar. Wir sind eine 360°-Agentur, die alles selbst organisiert und arrangiert. Wir schreiben all unsere Songs selber, produzieren im eigenen Studio, mieten eigenständig die Stadthalle in Chur, kommen mit unseren Trucks und bauen die ganze Bühnenkulisse selbst auf. Dies ist das erste Jahr, in dem wir wirklich alles von A-Z alleine organisieren, selbst den Mietvertrag für die Stadthalle habe ich eigenhändig unterschrieben.

Wow, wie cool ist das denn? 

Ja, es ist verdammt cool, aber wir tragen dadurch natürlich auch eine Riesenverantwortung und können nur hoffen, dass sich alle anständig benehmen werden.

Na, dann hoffen wir doch mal, dass alles glatt läuft! Nun, wir beide sind ja keine 20 mehr, doch in diesem Jahr handelt es sich um deine Jubiläumstour. Wie feierst du die Show mit deinen Jungs?

Generell ist es schon so, dass wir in unseren jungen Jahren den Rock’n Roll-Lifestyle massiv gelebt haben. Da wurden Drogen (natürlich nur die ganz soften) konsumiert, Frauengeschichten geschrieben und alles, was sonst noch dazugehört. Ach, rückblickend war das eine geile Zeit, die ich auf keinen Fall missen möchte.

Aber mittlerweile sind wir alle etwas älter, reifer und bodenständiger geworden. Und der grösste Teil unserer Crew hat auch schon eigene Kinder. Klar, wir sind heute durchaus noch ein wilder Haufen. Aber schlussendlich wollen wir für unsere Shows fit bleiben und unserem Publikum eine professionelle Performance bieten. Das ist unter anderem auch der Grund, weshalb die meisten von uns während der Tour auch viel Sport treiben. Fakt ist: Es geht heute alles gesitteter zu und her, aber wir sind keineswegs prüde oder konservativ geworden. Es wird halt alles einfach etwas smarter im Alter.

Na, das trifft sich ja gut, dass eure Show in Chur auf einen Samstagabend trifft! 

Absolut! (lacht) Ich sehe, du willst mit uns am Samstag nach der Show so richtig abfeiern gehen! Ja klar, das machen wir natürlich! Organisierst du uns eine After-Show-Location?

Klar, wird erledigt! 

Am 27. Februar 2016 stehst du mit deiner Instinkt-Tour erneut in der Churer Stadthalle auf der Bühne. Was wünschst du dir von unserem Publikum?

Ich darf mir was wünschen? OK, lass mich mal überlegen. Das ist eben das Problem in Chur. Wir waren bereits zwei Mal in der Stadthalle und beide Male war die Stimmung grandios. Wirklich genial. Das heisst also, das Churer Publikum hat die Messlatte wirklich hoch gesteckt! Wir wurden bisher regelrecht von euch verwöhnt.

Egal, was ich mir an dieser Stelle wünsche, ich weiss und bin der Überzeugung, dass die Show am 27. Februar in Chur wieder ein Megaerfolg sein wird.

Was geschieht nach der Instinkt-Tour?

Nach der Tour werde ich mir sicher den einen oder andern Tag eine kleine Auszeit gönnen. Denn seit zwei Jahren ist bei mir ständig Dauer-Action angesagt: Ich habe mir mein Sprunggelenk gebrochen, kaum war das verheilt, hielt ich schon meinen Junior im Arm, und gleich danach wurde die «Instinkt»-Platte produziert. Daneben haben wir noch unser eigenes Studio gebaut, unsere Firma DreamStar Entertainment gegründet und vieles mehr. Davon bekommt die Öffentlichkeit oftmals gar nichts mit. Und diese wohlverdiente Zeit werde ich mir gönnen und vorwiegend mit meinem Junior verbringen.

DreamStar Entertainment ist sozusagen dein zweites Baby. Unter anderem willst du dich mit diesem Label für andere Bands & Künstler engagieren. Ist das deine persönliche Investition in die Zukunft?

Das Label ist so aufgebaut, dass wir in Zukunft weiterhin Dinge, die wir bis anhin gemacht haben, mit Newcomer-Acts weiterführen könnten. Man könnte mit DreamStar Entertainment so einiges auf die Beine stellen. Es hat auf jeden Fall Potenzial in alle Richtungen. Und es könnte durchaus sein, dass über diesen Kanal weitere Projekte, die nicht direkt etwas mit der Musik zu schaffen haben, durchgeführt werden.

Du bewegst dich seit 20 Jahren in der Musikbranche. Gibt es heute noch Situationen, bei Interviews oder Auftritten, die dich nervös oder gar sprachlos machen?

Ja sicher, klar. Vor jedem Interview und vor jeder Show bin ich nervös. Der erste Schritt auf die Bühne macht mich auch heute noch nervös, man macht sich Sorgen über die technischen Abläufe, man hofft auf ein zahlreiches Publikum, das Spass an der Show hat etc. Und das ist auch gut so. Denn ich glaube, wenn der Punkt erreicht ist, wo keine Emotionen und keine Nervosität mehr im Spiel sind, dann ist das der Zeitpunkt, an dem man ans Aufhören denken muss.

Bist du jetzt in diesem Moment nervös?

Wenn ich an den Quickie im Anschluss denke, dann vielleicht ein bisschen, ja doch! (lächelt)

Oh, ok! Dann lass uns doch noch kurz das Interview beenden!

Abschliessend: Du bist eine unglaublich faszinierende und aus meiner Sicht sehr leidenschaftliche Persönlichkeit. Mit Tiefgang und Intellekt. Junge und Junggebliebene sehen deshalb in dir und in deinem Lebensweg ein greifbares Vorbild. Was willst du denen mit auf den Weg geben?

Lah sie redä!

 

(Bild: Bligg Instinkt Pressefoto/Adrian Bretscher)