Zurzeit findet in Grossbritannien eine wilde Auseinandersetzung über eine Statue von Cecil Rhodes an der Universität Oxford statt. Warum die Statue des Kolonialherren stehen bleiben sollte und was das Ganze mit Graubünden zu tun hat.
Seit Monaten schon fordern Studenten der Universität Oxford die Statue von Cecil Rhodes am Oriel College müsse entfernt werden. Dies ist auf die rassistischen und kolonialen Ansichten von Rhodes zurückzuführen. Dieser spielte während des «Wettlaufs um Afrika» eine führende Rolle beim Erwerb der nach ihm benannten Kolonie Rhodesien. Rhodes verköperte den «bösen Imperialisten», welcher von der Überlegenheit seiner Rasse überzeugt war und seinen kolonialen Besitz durch Minenunternehmen schröpfte. Er war aber nicht nur Imperialist, sondern auch einer der damals reichsten Männer der Welt. Sein Vermögen vermacht er zu grossen Teilen einer Stiftung, die Stipendien an nicht-englische Studenten der Universität Oxford vergab. Bis heute ermöglicht die Stiftung jährlich 200 internationalen Studenten in Oxford zu studieren. Zu den berühmteren Stipendiaten gehörte beispielsweise der frühere US-Präsident Bill Clinton.
Rhodes hatte aus heutiger Perspektive ganz eindeutig radikale und unvertretbare Ansichten. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt dies aber auf keinen Fall. Politische Meinungen, Handlungen und Akteure müssen immer in Relation zum soziokulturellen Hintergrund der jeweiligen Epoche gesehen werden. Genausowenig wie sich ethische und moralische Standards über Nacht entwickelt haben, können sie in jedem historischen Zeitalter diesselbe Gültigkeit besessen haben. Wenn nun historisch bedeutsame Persönlichkeiten an den heutigen Moralvorstellungen gemessen werden, müssten wir auch Abraham Lincoln oder Winston Churchill verurteilen. Ersterer wollte die Afroamerikaner niemals in die weisse Gesellschaft integrieren (sondern steuerte vielmehr auf ein der Apartheid ähnliches System hin), letzterer hatte in Bezug auf Rasse und Empire ähnliche Vorstellungen wie Cecil Rhodes. Sollten deshalb ihre Errungenschaften wie die Abschaffung der Sklaverei oder der Kampf gegen das Dritte Reich nicht mehr gewürdigt werden? Nigel Biggar, Professor der Universität Oxford kommentierte treffend: «If we insist on our heroes being pure, then we aren’t going to have any.»
Auch wir Bündner haben unseren umstrittenen Helden: Jörg Jenatsch (unten). Die wahrscheinlich berühmteste Figur bündnerischer Geschichte (dessen Todestag sich übrigens am letzten Donnerstag zum 377. Mal jährte) war alles andere als ein Gutmensch. Mit eiskalter Machtpolitik, Verschwörung und Mord erkämpfte er sich den sozialen Aufstieg. Trotzdem ersparte er durch geschickte Diplomatie Graubünden vor der völligen Verwüstung im Dreissigjährigen Krieg und bewahrte die Existenz des Freistaates in seiner damaligen Form. Obwohl die Verdienste Jenatschs historisch belegt sind, existiert in Graubünden bis heute kein offizielles Denkmal.
(Bilder: Wikipedia)