Gute Infrastrukturpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass die beschränkten Mittel möglichst optimal eingesetzt werden. Schliesslich kann jeder Franken nur einmal ausgegeben werden. Am symbolisch aufgeladenen Gotthard scheint dieser Grundsatz nicht zu gelten. Ideologischer Ballast wiegt mehr als nüchterne Berechnung.
Widersprüche und Verschwendung
Beleg für diesen Mangel an Objektivität ist ein Bericht aus dem Bundesamt für Strassen, der im radikalen Widerspruch zur bisherigen Argumentation des Bundesrates steht. In seiner Botschaft hielt der Bundesrat noch fest, dass eine Sanierung mit Vollsperrung des bestehenden Strassentunnels bis spätestens 2025 dringlich und alternativlos sei. Der neue Bericht belegt hingegen, dass die Deckensanierung – der eigentliche Grund für die Vollsperrung – bis 2035 gar nicht nötig ist. Welche konkreten Arbeiten nach 2035 anstehen, bleibt unklar. Das Parlament hat auf falscher oder zumindest unvollständiger Grundlage entschieden.
Auf unserem Strassennetz gibt es Brennpunkte mit viel grösserem Verkehrsaufkommen, die mit höherer Dringlichkeit einer baulichen Intervention bedürfen. Trotzdem sollen am Gotthard ohne zeitliche Not weitere Milliarden verbaut werden. Milliarden, die andernorts fehlen. Zum Beispiel erlebte die Ostschweiz im Dezember, dass die Erneuerung der Rheintalautobahn wegen fehlender Finanzen in letzter Sekunde verschoben werden musste. Dies veranlasste auch den St. Galler Baudirektor Willi Haag (FDP) kritisch festzustellen, dass der Gotthard wichtigere Projekte konkurrenziere. Die 2. Röhre entpuppt sich in der Praxis schon heute als falsche Priorität und damit als reine Verschwendung.
Die Schweiz als Transithölle
Der Hauptgrund für ein Nein ist ein verkehrspolitischer. Zwei Tunnelröhren, in denen je nur eine Spur befahren wird – das ist ein offensichtlicher Schwindel. Strassen- und Baulobby kämpfen für eine 2. Röhre, weil sie diese für ihren Profit bauen, voll befahren und auch umfassend betreiben wollen. Alles andere ist eine Illusion.
Mit einer 2. Röhre wird die Gotthardstrecke zur kürzesten vierspurigen Nord-Süd-Autobahn Europas. Der Druck der mächtigen Lastwagenlobby, diese Strecke für den Schwerverkehr zu öffnen, würde in Kürze unermesslich. Aus einer doppelten Kapazität würde so eine doppelte Anzahl Lastwagen. Mit zwei Millionen Transitlastwagen hätten wir Verhältnisse wie am Brenner – und zwar auf der ganzen Nord-Süd-Achse.
Eine Simulation des ETH-Spin-Offs Senozon zeigt die Auswirkungen von zwei Röhren und vier Spuren am Gotthard für die Stausituation in der Schweiz. Sie sind dramatisch. Auf der Westumfahrung Zürichs kommt man zu keiner Tageszeit am Stau vorbei, im Grossraum Luzern kommt es zum Verkehrskollaps, das Tessin wird überrollt. Und: Mit vier Spuren am Gotthard nimmt der Verkehr über die Pässe Simplon und San Bernardino noch stärker zu als am Gotthard selbst. Die Schweiz würde von Basel und Schaffhausen bis Chiasso – und insbesondere auch entlang der A13 in Graubünden – zur Transithölle.
Jahrhundertprojekt NEAT nicht gefährden
Die 2. Röhre würde auch den Alpenschutz durchlöchern – und den Nutzen der NEAT untergraben. Diese grösste Investition in der Geschichte unseres Landes sollte den Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene verlagern. Darum haben Volk und Stände 1992 dem Multimilliardenprojekt zugestimmt und 1994 und 2004 zwei Mal wuchtig eine zweite Strassenröhre verworfen. Nun, einige Monate bevor der Gotthard-Basistunnel als Jahrhundertbauwerk und Herzstück der NEAT eröffnet wird, soll die NEAT doch noch durch eine 2. Röhre torpediert werden? Unsinniger geht es wirklich nicht. Das Volk muss am 28. Februar mit einem Nein die Politik wieder zur Vernunft bringen. Damit erhält die Schweiz die Chance, die Wirkung der NEAT für die Güterverlagerung in Erfahrung zu bringen und eine bessere und günstigere Sanierungsvorlage für den Gotthard auszuarbeiten.
Jon Pult
Präsident der Alpen-Initiative und Bündner Grossrat
(Bild: Valentin Luthiger/EQ Images)