Mitte Oktober prophezeite GRHeute, dass Marc Wieser evtl. die 40-Punkte Marke knacken könnte. Mittlerweile ist das nur noch Formsache.
Marc Wiesers Lauf nimmt fast schon unheimliche Züge an. Zusammen mit Perttu Lindgren bucht der Prättigauer am Laufband. Zeit, mal genauer hinzuschauen, wieso der Erfolg genau jetzt zustande kommt.
Ein paar nackte Fakten
- In 34 Spielen erzielte Marc Wieser bisher 18 Tore. Seinen Karriere-Rekord von 16 Toren (2014/15) hat er bereits vor Weihnachten gebrochen.
- Der Kübliser ist auf Pace für 107 Schüsse. Trifft er mit der gleichen Erfolgsquote, so landet er am Ende bei 26 Toren.
- 26 Tore wäre das sechstbeste Resultat eines Stürmers und das zweitbeste Schweizer Resultat seit 2008/09 (nach Julien Sprungers 27 Toren in 2012/13).
Die Krux liegt in der Trefferquote. Marc Wieser trifft zur Zeit bei 24.7% aller Schüsse. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. 24.7%. Das ist jeder vierte Schuss, der im Netz zappelt. Eine abartige Quote, die im Normalfall auf Dauer nie gehalten werden kann. Oder besser gesagt: Noch nie von einem Spieler gehalten werden konnte.
Das Sprichwort «Momentan fallen sie einfach rein» kommt in den Sinn. Und es ist tatsächlich so, dass die Scheibe zur Zeit für den älteren Wieser Bruder läuft. Aber das Sprichwort sollte auf dem ersten Wort betont werden. Denn nachhaltig ist das Ganze nicht.
Historische Werte…
Wayne Gretzky, der beste Spieler aller Zeiten, brauchte 21 NHL Saisons und knackte in dieser Zeit zweimal die 24% Marke, einmal die 25% Marke. Und das war während einer Zeit, als im Schnitt fast doppelt so viele Tore pro Spiel erzielt wurden. Der Vergleich hinkt nicht nur deshalb. Wenn wir in die heutige Zeit schauen, wird das Ganze besser sichtbar:
Was denkst du, sind die Spitzenwerte von Sydney Crosby, dem besten Eishockey Spieler der Welt? Ein kleiner Tipp: Der Superstar hat in seiner Karriere noch nie die 20% Marke geknackt. Oder wie steht es mit Alex Ovechkin, dem besten Sniper der Welt? Sein Spitzenwert liegt bei 14.6%.
Marc Wieser steht bei 24.7%.
Man kann nun sagen, dass es in der National League A (mit weniger Spielrunden) leichter ist, eine hohe Trefferquote zu halten. Das mag sein. Und schlussendlich gibt es immer wieder Stürmer, die eine Bomben-Saison feiern und hohe Trefferquoten haben. Aber wer dachte, das sei die Norm, liegt falsch. Die bisherigen Shooting Stars, Top Skorers und Snipers der NLA erreichten ihre Torwerte meist durch eine sehr hohe Anzahl Schüsse. Schlussendlich brauchten auch die Topspieler viele Torchancen und hatten dementsprechend eine Quote von weniger als 20%.
…auch in der National League A*…
Was das konkret heisst: Seit 2008/09 haben NLA Stürmer total 1569 Saisons absolviert. Das ist statistisch eine relevante Grösse als Massstab. Von diesen 1569 Saisons bzw. Spielern haben es bisher exakt zwei Stürmer geschafft, mehr als 100 mal aufs Tor zu schiessen und dabei besser als 23% zu treffen. Der (nicht so erstaunliche) Zufall will es, dass die beiden Spieler auch beim HCD stürmten:
- Petr Sykora traf 2010/11 insgesamt 35 Tore bei 150 Schüssen – das ist eine Trefferquote von 23.6%.
- Petr Taticek erzielte 2011/12 total 26 Tore – er landete bei einer Trefferquote von 23.3%.
Die restlichen 1567 Saisons der NLA Stürmer verliefen allesamt weniger erfolgreich.
(Grafik: Auf der X-Achse sind die Anzahl Tore, auf der Y-Achse die durchschnittliche Trefferquote aller NLA Stürmer seit 2008/09, die mindestens 100 Torschüsse produzierten.)
…und auch für Marc selbst.
Und dann ist da noch das Argument, dass die Werte von Marc Wieser absolut atypisch für ihn sind. Der Prättigauer hat zwar immer für Punkte gesorgt, war aber in seiner Karriere noch nie der typische Goalgetter. Ein paar Fakten dazu:
- Über 7 Saisons und 321 NLA Spiele traf Marc Wieser im Schnitt mit mittelmässigen 10.5%. Mehr als 14% tiefer als sein momentaner Wert.
- Seine bisher beste Saison war 2012/13 beim EHC Biel – da traf er mit 15.5% aller Schüsse. Immer noch fast 9% tiefer als jetzt.
Es kann durchaus sein, dass ein Spieler (gerade auf seinem Zenit) eine Saison lang bis zu 20% trifft. Das ist bisher aber noch nie wiederholt worden.
Marc Wieser steht bei 24.7%. Die Frage ist, wie lange.
(Grafik: Auf der X-Achse sind die verschiedenen Saisons von Marc Wieser, auf der Y-Achse seine Trefferquote. Die schwarze Linie ist die Trefferquote pro Saison, die rot gestrichelte Linie zeigt den Schnitt über seine gesamte Karriere.)
Was spricht für ihn?
Es gibt durchaus Spieler, die grenzwertig sind: Jurai Kolnik oder Toni Salmelainen zum Beispiel. Die beiden Genfer Stürmer schossen 2009/10 zwar wenig aufs Tor, aber konnten über eine ganze Saison lang Trefferquote von über 20% halten. Und dann gibt es noch das Argument, dass jeder Spieler mal eine mirakulöse Saison haben kann. Roman Wick traf zum Beispiel 2008/09 insgesamt 24 Tore mit einer Quote von 22.2%.
Gut möglich, dass Marc Wieser, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, mit den richtigen Sturmpartnern, mit Momentum und Glück auf seiner Seite, und einem weiteren verletzungsfreien Saisonverlauf diese Werte halten kann.
Und dann gibt es auch noch das Argument, dass er ganz einfach mehr Torschüsse produziert als erwartet und so alles seinen natürlichen Lauf nimmt, sprich: Tiefere Trefferquote, aber gleich erfreuliche Produktion.
Was spricht gegen ihn?
Nun, vorab mal 1567 Beispiele. Die Zahlen zeigen, wie schwierig es effektiv ist, so oft aufs Tor zu schiessen und derart viele Treffer zu erzielen. Marc Wieser mag mit Lindgren die Chemie gefunden haben, nichts desto trotz ist es extrem schwierig, einen solchen Lauf über eine Saison aufrecht zu halten. Nicht einmal die besten Eishockey-Spieler der Welt können konstant hohe Trefferquoten halten.
Und dann die bekannten Killer-Argumente: Die Anzahl geschossener Tore geht ligaweit zurück, die Defensive wird immer wichtiger, Goalies immer grösser und besser. Trefferquoten fallen seit Jahren stetig und durchs Band. Praktisch alle Rekorde basieren auf älteren Saisons. Seit 2012/13 hat nur ein einziger Stürmer über 20% getroffen. Das war ein Teamkollege von Marc Wieser: NHL Superstar Tyler Seguin mit 20.3%.
Eine (nicht so gewagte) Prognose
Marc Wieser wird Ende Saison 105 mal aufs Tor geschossen haben, dabei 24 Treffer erzielen, und so bei einer Trefferquote von 22.9% landen. Er wird damit die beste NLA eines Schweizer Stürmers seit Jahren feiern können.**
TLDR / Zusammenfassung
Marc Wieser schiesst im Schnitt zweimal pro Spiel aufs Tor und hat dabei eine Trefferquote von 24.7%. Das ist ein unglaublich hoher Wert, und wurde in den letzten acht Jahren in der gesamten NLA nur von zwei weiteren Stürmern erzielt. Die Chance, dass Marc Wieser in den nächsten Spielen nicht mehr so oft treffen wird, ist gross. Der Erfolg wird bestehen bleiben, aber realistisch muss man mit einer Trefferquote von unter 23% rechnen. Was immer noch ein unheimlicher Wert ist.
Momentan fallen die Pucks einfach rein. Man darf gespannt sein, wie der Kübliser die letzten 16 Partien gestalten wird.
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*Alle Zahlen stammen von der SIHF Website und sind dementsprechend mit Vorsicht zu geniessen.
** Aller Stürmer mit mind. 100 Torschüssen.
(Bild: Juergen Staiger, Jakob Menolfi/EQImages, Quellen: sihf.ch, hockey-reference.com, GRH viz)