je ne suis pas la france

Der Montagskommentar auf GRHeute.

 

Vor ziemlich genau 20 Jahren habe ich drei Monate in einem Kibbutz in Israel gelebt. Der Kibbutz befand sich nahe Netanja, zwischen Tel Aviv und Haifa. Kurz bevor ich nach Israel ging, passierte der Anschlag auf Bus Number 5. In Tel Aviv bin ich oft mit diesem Bus gefahren, an dem Ort vorbei, an dem es passiert ist. Kurz nachdem ich zurück kam, ging die Bar in Netanja hoch, in der ich ab und zu eins trinken war. Es tat mir leid um alle, die dabei sterben mussten. Mit den Kibbutzniks darüber reden, was mit Palästina passiert, war unmöglich. Beziehungsweise liefen Diskussionen immer nach dem gleichen Schema ab: Sie sagten, die anderen wollten den Krieg. Aber welche Ahnung hatte ich davon, mit 19? Keine.

Ich habe auch heute keine Ahnung davon, 20 Jahre später. Ich denke nicht mehr jeden Tag daran, aber rückblickend ist es ein guter Teil meines Lebens. Ein Leben in einer Zwischenwelt: Das Leben im Kibbutz war eintönig, von der Party am Freitagabend geprägt, aber es war auch sehr international, mit Volunteers aus allen Ecken der Welt. Wir lebten nahe am Meer, und manchmal streicht mir noch immer der Geruch durch die Nase, wie es frühmorgens roch, wenn ich um sechs Uhr meine Schicht in der Plastikfabrik antreten musste.

Ich hatte zwei Blutvergiftungen in dieser Zeit und mir wurde davon abgeraten, nach Ostern nach Jerusalem zu reisen, weil es zu gefährlich war. Das ist das einzige, das wirklich passiert ist, obwohl die politische Lage weitaus prekärer war als heute. Bei meiner Ausreise wurde mein Rucksack, den ich heute noch habe, zweimal komplett auseinander genommen. Morgens um 5 und morgens um 7 Uhr. Ich musste die Nacht vor der Abreise vor dem Zoll auf dem Schlafsack schlafen, und es war kein Problem. Wir haben neben dem Flughafen von Taba geschlafen, unter freiem Himmel. Wir machten vieles, das heute wohl nicht mehr möglich wäre, aber genau weiss ich es nicht.

Ich erinnere mich an die diffuse Angst, die immer da war und das Leben trotzdem nicht behinderte. Ich lebe immer noch. Ich war nicht Charlie, und ich bin jetzt nicht Frankreich. Es ist unglaublich schlimm, was da passiert ist. Aber es passiert jede Minute, überall auf dieser Welt. Die Reise nach Paris dauert mit dem Zug ungefähr gleich lang wie mit dem Flugzeug nach Tel Aviv. Es war schon lange nahe bei uns, aber es interessierte uns nicht. Jetzt ist es hier. Und es ist schrecklich. An anderen Orten ist das schon lange Alltag, und das ist noch viel schrecklicher.

Das einzige, was mich am Ganzen noch mehr berührt hat, ist die Reaktion der Pariser – wie sie spontan ihre Türen öffneten, um Menschen in Angst einen sicheren Hafen zu bieten.

Vielleicht bekommen wir mit mehr #Porteouverte den Weltfrieden.

 

(Bild: JB Autissier/EQ Images)