Zarn: «In der Pubertät entscheidet sich die Fussball-Karriere»

Für viele Fussballklubs ist diese Woche die letzte in der Herbstsaison 2015. GRHeute nimmt dies zum Anlass, den Bündner Fussballs und seine Perspektiven unter die Lupe zu nehmen – dabei sprechen wir nicht vom Status der Bündner Top-Mannschaften, sondern von den Konzepten, wie man Fussballtalente erkennt, fördert und ihre Karriere plant. Dazu beziehen wir uns auf einen kürzlich veröffentlichten Bericht von Claus Caluori, Sportchef des Bündner Fussballverbands. In einer fünfteiligen Serie fühlen wir diese Woche den Profi-Träumen der jungen Bündner Fussballerinnen und -Fussballer auf den Zahn.

Das seit 1995 eingeführte Nachwuchskonzept des Schweizerischen Fissballverbandes greift langsam auch in Graubünden. GRHeute hat den ehemaligen Aarau- und Vaduz-Profi Marius Zarn aus Landquart interviewt.

Marius Zarn, Sie sind Trainer der U15-Auswahl des Future-Champs-Ostschweiz. Ich nehme an, Sie sind ein Anhänger des Ausbildungssystems des Schweizerischen Fussballverbandes?

Meine Sicht ist, dass es die richtige Lösung für die Region Ostschweiz ist. Das Konzept ist auf einem guten Weg und ermöglicht es, dass keine Talente mehr – egal wo sie in der Schweiz und auch in Graubünden spielen – durch die Lappen gehen.

Das Konzept stiess vor allem zu Beginn auf viel Kritik. Der Bündner Fussballverband würde den Klubs die besten Spieler wegnehmen.

Die Kritiker gibt’s immer noch. Aber ich kann hierzu auch eine Kritik an die Kritiker äussern: Viele befassen sich zu wenig mit dem Thema, sehen nicht genug rein und äussern sich dann doch. Das Projekt entwickelt sich gut. Natürlich gibt es Mängel, aber wir optimieren Jahr für Jahr. Der Weg ist noch nicht zu Ende, aber ich denke, von der U12 bis zur U16 wird durch’s Band sehr gute Arbeit geleistet.

Wie erklären Sie es den Vereinen, wenn der Verband ihnen die besten Nachwuchsspieler wegnimmt?

Wir versuchen aufzuzeigen, dass viele mit 16 auch wieder den Schritt zurück zu den Vereinen machen, und zwar als sehr gut ausgebildete Spieler. Klar können Vereine zu Beginn etwas leiden, wenn sie die besten Spieler an die Auswahlteams verlieren, aber wir sehen eine Entwicklung, dass sie später auch davon profitieren können. Hier muss ein Umdenken bei einigen Vereinen stattfinden. Nur wenige Spieler erhalten diese Chance, und dann geht es darum, diese zu fördern. Man muss auch sehen, das Graubünden dabei ja nicht ein Pilotprojekt durchführt, sondern dass wir es einfach gleich machen wie andere Regionen in der Schweiz.

Sie erfassen junge Bündner Fussballer bereits mit 10-11 Jahren. Bedeutet das, dass junge Fussballer, die in den ersten Auswahlen kein Aufgebot erhalten, bereits weg vom Fenster sind?

Nein, es gibt schon auch Quereinsteiger, die erst in der U13 oder U14 dazu stossen, diese Versmischung findet durchaus statt. Aber es ist sicher schwierig für sie, da ihnen die Trainingszeit der Teamkollegen aus den Vorjahren fehlt.

Wie hat sich das Konzept bisher sportlich ausgewirkt?

Die Entwicklung wird sicher weitergehen, aber die Südostschweiz hat schon einen Schritt nach vorne gemacht. Vor fünf Jahren lang konnten wir mit anderen Regionen der Schweiz nicht mithalten. Langsam kommen wir der Spitze näher, die Resultate werden besser. Als Trainer spüre ich beispielsweise beim U15-Team, dass die Breite viel grösser ist als früher. Das bedeutet einen grösseren Konkurrenzkampf im Training und widerspiegelt sich in höherer Intensität und Qualität.

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In der U15 und der U16 starten die entscheidenden Jahre im Future-Champs-Ostschweiz-Projekt. Die besten Fussballer schaffen den nächsten Karrieresprung und erhalten einen Vertrag an der FC St. Gallen-Akademie, die kürzlich offiziell eröffnet wurde (Bilder). Mit den Churern Angelo Campos und Livio Krättli, dem Buchser Tim Staubli, dem Felsberger Alessio Schmid und dem Emser Tino Dietrich ziehen auch fünf Südostschweizer in den neuen Fussball-Campus ein und geniessen professionelle Betreuung. Was bedeutet das für den hiesigen Fussball?

Viel, es gibt nicht jedes Jahr derartige Ausnahmespieler. Aus Bündner Sicht waren wir sehr erfolgreich. Denn faktisch ist diese Aufnahme nochmals eine Selektion. Einen Platz in der St. Gallen-Akademie schaffen nur wirkliche Talente.

Wie sieht die Zusammenarbeit eines Auswahltrainers wie ihnen mit dem Profiklub FC St.Gallen in der Praxis aus?

Sie geben uns eigentlich relativ freie Hand, wir können Talente – wenn sie so weit sind – in ein Sichtungstraining schicken. Auch dieses Jahr haben wir wieder Spieler an die U15 abgeben können. Zuletzt haben wir Kontakt mit St. Gallen aufgenommen und einen U14-Spieler in ein Sichtungstraining geschickt. Das wirkt auch motivierend für seine Teamkollegen, und wir zeigen das auch gerne. Die Spieler sollen sehen, dass es möglich ist.FCSG3

Mit 18, 19, 20 sehen die Talente dann plötzlich die erste Mannschaft vor sich, wo allenfalls Super-League-Einsätze locken.

Der Sprung von den Junioren in den Aktivbereich war zuletzt problematisch. Der ehemalige St. Gallen-Trainer Jeff Saibene setzte relativ wenig auf Junge. Das Thema, eigene Junge zu fördern, ist heute für einen Trainer wichtig. Ich hoffe, es geht jetzt unter Trainer Josef Zinnbauer in eine etwas andere Richtung. Es ist noch zu früh, darüber zu urteilen, aber die ersten Feedbacks lassen hoffen. Was nicht mehr sein darf, ist, Nachwuchsspieler aus anderen Regionen oder dem Ausland zu holen und auf sie statt auf die eigenen zu setzen.

Welches sind aus Ihrer Sicht die grössten Talente aus der Südostschweiz, bzw. Graubünden?

Die aktuelle U16 hat gute Perspektiven. Besonders Angelo Campos (Chur) und Tim Staubli (Buchs), wenn sie den Weg weitergehen. Sie spielen schon jetzt auf hohem Niveau. Sie sind nicht nur im Kader der U16-Nationalmannschaft, sondern sind dort zwei Leaderfiguren. Und sie liegen in der Torschützenliste ganz vorne.

Die Zukunft für den Fussball sieht aus regionaler Sicht gut aus. National könnte es aber schwieriger werden: In vielen Ländern wurde das Schweizer Erfolgsmodell der letzten 20 Jahre kopiert oder zumindest adaptiert. Da müsste die bevölkerungsarme Schweiz in Zukunft eigentlich wieder hinterher hinken. Teilen Sie diese Auffassung?

Es wird für die Schweiz in Zukunft sicher nicht einfacher. Die grossen Länder haben nachgezogen und auch viele kleine holen auf. Der Schweizer Fussball-Verband macht nun den nächsten Schritt, um noch mehr in die Breite zu gehen. Dies wollen wir erreichen, indem wir die Qualität der Talente besser erkennen, damit wirklich keiner durch die Lappen geht. Wir müssen erreichen, dass wir keinen 12-Jährigen verpassen, der sich dann als 14-Jähriger als Talent entpuppt. Da legen wir in Zukunft einen grösseren Fokus drauf.

Sie spielten in der Challenge und in der Super League und haben über 20 Uefa-Cup-Spiele absolviert. Was muss ein junger Fussballer heutzutage mitbringen, um Profi werden zu können?

Das Talent ist eine Grundvoraussetzung, dass es ein Spieler in ein Auswahlteam schafft. Darauf wird bei der Sichtung bereits geschaut. Bei uns erlernt er dann das technische und taktische Rüstzeug, das es braucht. Das Wichtigste, was ein junger Fussballer mitbringen muss, ist der Wille. In der Pubertät ist das ganz entscheidend. Es zeigt sich, ob er seinen Fokus auf den Fussball legt. Einige können oder wollen das nicht.

 

Dies war der letzte Teil der Serie über die Perspektiven des Bündner Nachwuchsfussballs. Am Montag haben wir über die Organisation des Nachwuchsfussball in der Schweiz und die Funktionen des Kinderfussballs berichtet, am Dienstag über das Future-Champs-Ostschweiz und die Einbindung des Bündner Fussballverbands, am Mittwoch über die wichtigen typischen Karriereschritte eines (Bündner) Nachwuchsfussballers. Gestern schliesslich stellte GRHeute die besten Bündner Nachwuchsfussballer vor. 

 

(Bilder: futurechamps.ch)