Ein Kommentar zum Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf.
Was vor acht Jahren mit einem politischen Erdbeben begann, fand gestern das in den letzten Tagen erwartete Ende: Eveline Widmer-Schlumpf tritt aus dem Bundesrat zurück.
50 Jahre beruhte die schweizerische Konkordanzdemokratie darauf, dass man die wichtigsten politischen Kräfte in der Regierung im Verhältnis ihrer Stärke einbindet und sich – trotz unterschiedlicher Positionen – zu gemeinsamen Lösungen zusammenraufte. Bis zur Parteispaltung SVP-BDP mit der Abwahl von Christoph Blocher und der Wahl von Eveline Widmer-Schlupf in den Bundesrat funktionierte dieses System. Seit dem Eklat von 2007 gab es die Konkordanz im bisherigen Sinne nicht mehr.
Die Mitteparteien prägten in den letzten Jahren zusammen mit der Linken den Begriff der «inhaltlichen Konkordanz». Was letzlich nichts anderes bedeutet, als dass im Bundesrat vor allem die Parteien vertreten sind, die sich inhaltlich nahe stehen. Das wiederum ist der Kern einer Konkurrenzdemokratie, wie sie in den meisten andern Ländern üblich ist. Was war die Folge davon? Nichts anderes, als dass mehr oder weniger Gleichgesinnte die Regierung stellen und Andersdenkende ausgegrenzt, bzw. in die Opposition abgedrängt werden. Wir haben es erlebt, dieses Rezept hat nichts mit der traditionellen Schweizer Konkordanz zu tun und taugt für uns Land nicht. Die Tatsache, dass dabei auch noch die stärkste politische Kraft in die (Halb-)Opposition gedrängt wurde, hat das politische Klima schwer vergiftet.
Rücktritt von Widmer-Schlumpf als Chance
Mit dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf ist der Weg frei, um zur Zauberformel zurückzukehren: Die drei stärksten Parteien stellen je zwei, die kleinste der vier grossen Parteien einen Bundesrat. Man ist wieder gezwungen, sich zusammen zu raufen und unterschiedliche Meinungen zu respektieren, um tragfähige Kompromisse zu erreichen.
Eine weitere Voraussetzung für eine funktionierende Konkordanzdemokratie ist die Wahrung des Kollegialitätsprinzipes. Damit dies möglich wird, ist es nötig, auf einander zuzugehen. Vor allem die SVP muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und zusammen mit den andern Bundesratsparteien die Probleme der Schweiz lösungsorientiert angehen. Sie muss ihre Obstruktionspolitik der letzten Jahre aufgeben. Dass die SVP den Rücktritt von Widmer-Schlumpf nicht überschwänglich als Triumph und späte Rache feierte, ist schon mal ein gutes Zeichen. Trotzdem: Ob es der SVP gelingt, wieder eine staatstragende Rolle einzunehmen, ist eine offene Frage. Sie hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob die Partei qualifizierte und konsensfähige Kandidaten vorschlägt.
Heinz Brand mit echten Chancen
Am 14. November wird die SVP ihre voraussichtlich zwei Bundesratskandidaten vorschlagen. Namen wurden bereits mehrere rumgereicht. Gute Chancen auf einen Platz auf dem Zweierticket hat weiterhin der Bündner SVP-Nationalrat Heinz Brand. Es ist nur Formsache, dass er auch von der Kantonalpartei nominiert wird. Der einzige Makel, der dem Klosterser anhängt, ist die Tatsache, dass Brand wie Widmer-Schlumpf auch aus Graubünden ist. Ansonsten ist er der fast perfekte Kandidat und geniesst weit über die Parteigrenzen hinaus – selbst in der SP – Respekt und Sympathien.
Wie Eveline Widmer-Schlumpfs Vermächtnis in 20 Jahren bewertet wird, bleibt abzuwarten. Die Bündnerin hat im Sinn der Schweiz den richtigen Entscheid gefällt, den Hahnenkampf im Bundeshaus hinter sich zu lassen – und kann sich nun ganz auf Zeit für sich und für ihre Enkelkinder freuen. In Bern hält die Zeit deswegen nicht an. Ganz nach der alten Heroldsformel: «Die Königin ist tot, es lebe der König.»
(Bilder: Daniel Teuscher/EQ Images)